Briefe von Philipp und Julian

Gedanken zu Hesses Siddharta

Lieber Julian,

seit nunmehr zwei oder drei Monaten versuche ich jeden Tag 25 Seiten zu lesen. Das funktioniert natürlich nicht immer, aber oft genug und so hab ich dieses Jahr schon fünf Bücher durchgelesen. Im ganzen Jahr 2017 waren es nur sieben!
Bisher am besten gefallen hat mir „Siddharta“ von Hermann Hesse. Siddharta ist ein indischer Brahmanensohn, der in die Welt hinaus zieht, um Glück, Sinn und Erfüllung zu finden. Er lebt jahrelang bei Asketen, sucht den Buddha auf, gibt sich in einer Stadt doch den einfachen Freuden des Konsums hin… Doch vollends glücklich macht ihn nichts davon auf Dauer. Er ist nicht auf der Suche nach einem allumfassenden Wissen über die Welt oder einer weisen Lehre, sagt er an einer Stelle, sondern er sucht nach etwas, in dem er vollends aufgeht.
Die Handlung ist also die so häufig erzählte Geschichte nach dem Sinn, ein Roadtrip aus einer anderen Zeit, mit einer Figur, die zu extremen Handlungen bereit ist und den Kampf, den wir mit diesen Gedanken ausfechten, zugespitzt austrägt. Hesse schafft es dabei die Gedankenwelt Siddhartas ganz nahe zu bringen und immer wieder ordnet er Naturphänomene in einen größeren Zusammenhang ein. Bei „Narziss und Goldmund“ ist das ähnlich, auch ein sehr gutes Buch von ihm.
Ich hatte sehr viel Freude beim Lesen und dass ich eine 70 Jahre alte Ausgabe meiner Großtante aus der Schweiz hatte, hat sicherlich dazu beigetragen.
Ein Gedanke, der mich immer noch beschäftigt, ist dieser: Siddharta sagt, dass er drei Dinge kann - fasten, warten und denken - und dass er damit alles erreichen kann.
Weil er fasten kann, kann er enthaltsam leben. Er kann verzichten, ohne darunter zu leiden. Er ist nicht von Besitztümern abhängig, die ihm Sorgen bereiten oder seine Entscheidungen beeinflussen könnten.
Weil er warten kann, ist er geduldig. Er ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen, verspürt keinen Zeitdruck. Kombiniert mit dem Fasten heißt das auch, dass er nicht darunter leidet, wenn er heute etwas noch nicht erreicht - es hat Zeit.
Und weil er zudem noch denken kann, kann er die Probleme mit Logik und klarem Verstand lösen und bleibt dabei auf Grund der ersten beiden Fähigkeit weitestgehend unbeeinflusst von äußeren Einwirkungen. Im Buch entfaltet sich auch immer wieder die Kraft dieser drei einfachen Eigenschaften. Ich fand das sehr interessant.
Gerade am Ende liest es sich nicht wie eine Konsumkritik oder ein Abgesang auf unseren heutigen Lebensstil, aber es wirft doch ein paar gute Fragen darüber auf, was eigentlich wirklich wichtig ist. In einem Abschnitt arbeitet Siddharta zum Beispiel auch als Kaufmann. Für ihn ist das Geld verdienen nur ein Spiel und er versteht nicht den Ernst und die Sorgen seines Chefs, wenn ein Geschäft mal nicht gut geht…
Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu viel verraten, sondern gerade so viel erzählt, dass du auch Lust bekommen hast, „Siddharta“ zu lesen. Mit gerade mal 130 Seiten ist es auch nicht besonders dick. Vielleicht kann ich es dir im März ja nach Berlin mitbringen, dann kannst du es in der Woche lesen, falls du Lust hast.

Liebe Grüße
Philipp

Tatsächlich hast du genau die richtige Menge erzählt und ich habe dadurch richtig Lust auf das Buch bekommen. Ich habe extra nach einer deutschen Variante gesucht und angefangen zu lesen. Nach einer halben Stunde habe ich dann plötzlich gemerkt, dass das Buch auf Englisch ist. Das war ziemlich krass.
Mich hat das Buch dann sehr beeindruckt und angeregt. Die Idee sich auf eine so große Suche zu begeben, finde ich sehr stark. Insbesondere das Kapitel über die Weisheit des Fährmanns, die er aus dem Fluss zieht fand ich so unglaublich kraftvoll und ich merke wie ich bereits jetzt wieder Lust habe es zu lesen.
Was ich leider noch nicht gemacht habe, ist den Lektüreschlüssel zu lesen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das noch viele weitere Aspekte offenbart.

Mehr zuzuhören ist ein guter Vorsatz, finde ich. In größeren Gruppen stehe ich selbst häufiger auf der Seite der Stillen als auf der der Lauten. In meinem Projekt bekomme ich immer wieder Diskussionen mit, bei denen die Leute eine Viertelstunde lang lautstark streiten, um dann irgendwann festzustellen, dass sie eigentlich das gleiche gemeint haben, es aber anders ausgedrückt haben. Missverstanden haben sie sich dabei nur, weil sie sich zu sehr auf ihre eigene Position konzentriert haben. Zwar haben sie gehört, was der andere sagt, aber sie haben eben nicht zugehört. Mir passiert das ja auch manchmal. Ich gebe mir aber mühe, den anderen immer ausreden zu lassen und über das, was er gesagt hat, kurz nachzudenken bevor ich dann selbst antworte, anstatt die Zeit, in der der andere redet, nur dazu zu nutzen, meinen Diskussionspunkt vorzubereiten.

Ich rede zu viel

Lieber Philipp,

Im letzten Jahr habe ich in einem Podcast von einer Studie gehört, in der die Wahrnehmung vom Gesprächsanteil von Frauen und Männern untersucht wurde. Unabhängig vom Geschlecht des Beobachters wurde dabei der Redeanteil der Frauen deutlich höher eingeschätzt als der von Männern. Obwohl tatsächlich beide gleich viel geredet hatten. Da ich selbst, wie jeder, der mich kennt weiß, viel und gerne rede, hat mich diese Studie noch länger beschäftigt. Dabei ist mir noch folgendes aufgefallen: Wenn du das nächste Mal in einem Café oder einer Bar bist, dann zähl mal die Gespräche um dich herum, in denen kein Mann redet. Du wirst nicht viele finden mit Ausnahme von den Gruppen, die nur aus Frauen bestehen.
Ich glaube, dass das ein Problem in unserem System ist, wenn gewisse Gruppen so stark die Gespräche bestimmen, dass andere nicht zu Wort kommen oder sich aus Rücksicht zurück nehmen. Wenn zwei Männer allein eine politische Diskussion führen, obwohl um sie herum noch fünf weitere Personen sitzen, die wertvolle Beiträge liefern können. Nun bin ich, wie gesagt, selbst einer derjenigen, die in einem Gespräch durchaus mal mehr als 50 Prozent Redeanteil haben. Das will ich ändern. “Solange man selbst redet, erfährt man nichts.“ hat Marie von Ebner-Eschenbach gesagt. Dass ich das Zitat gerade eben erst rausgesucht habe, verringert den Wahrheitsgehalt dabei in keinster Weise. Daher will ich selbst mehr lernen, wenn ich die nach ihrer Meinung frage, die bisher noch nicht zu Wort gekommen sind, statt immer nur selbst meine Meinung raus zu posaunen. Was mir leider viel zu selten gelingt.
Was denkst du dazu?

Immer noch zu viel am Reden

Julian

Morgenrituale

Hallo Julian,

In der letzten Woche habe ich mal wieder versucht jeden Tag um 6.30 aufzustehen, um vor dem Frühstück eineinhalb Stunden Zeit zur Verfügung zu haben. Bei New Week | New Habit hast du das mit Hannah ja auch schon mal versucht. Ich muss sagen, dass ich das echt genial fand! Weil ich derzeit so viel für die Uni zu tun hab, hab ich die Zeit in den meisten Fällen zum Lernen oder Arbeiten genutzt. Zwei Mal habe ich aber auch eine Stunde lang gelesen und hab dann noch spannende Artikel durchgearbeitet und mir Notizen dazu gemacht. Das hat echt Spaß gemacht und es war so entspannt, weil es keine Ablenkung durch Nachrichten oder ähnliches gab und weil mein Kopf noch so frisch, sortiert und konzentriert war. Das lässt im Laufe des Tages dann irgendwann nach. Natürlich musste ich dann immer schon um 23 Uhr oder spätestens um 23.30 Uhr schlafen, um nicht zu müde zu sein. Aber auch das hat diese Woche gut funktioniert. Ich hab den abendlichen Serienkonsum reduziert und bin früher ins Bett gegangen, um noch zu lesen. Das hat mir dann einen so guten Schlaf wie schon lange nicht mehr beschert. Für mich funktioniert das ganz gut, weil ich meine ganze Kindheit und Jugend über eher früh ins Bett gegangen bin, um dann früh aufzustehen. Ziel des ganzen war ja aber eigentlich nur, eineinhalb Stunden Zeit nur für mich zu generieren, in denen ich ganz ohne Verpflichtung in aller Ruhe das machen kann, worauf ich Lust habe. Wie sieht das bei dir aus? Hast du tagsüber auch solche Zeiten? Oder gibt es ebenfalls ein Morgenritual?

Liebe Grüße
Philipp

Einerseits mag ich die Idee mit dem frühen Aufstehen und der extra Zeit für einen selbst, andererseits bin ich der Meinung, dass Schlaf sehr wichtig ist. Da ich eher Eule bin, ist das so frühe Aufstehen für mich nicht ganz das richtige. Mein Morgenritual besteht eigentlich aus meiner Zeit im Bad und sonst nehme mir viel zu selten aktiv Zeit für mich. Dein Brief hat mich aber inspiriert und so habe ich mir aktiv Gedanken dazu gemacht und teste die Woche verschiedene Varianten für meine morgendliche Routine aus. Da ich wie gesagt wahrscheinlich eher abends zusätzliche Zeit finden werde, habe ich mir überlegt statt eines morgendlichen Rituals lieber einen abendlichen Abschluss zu finden, der gut passt.

Das klingt sehr eindrucksvoll und bewegend. Ich hatte bisher nichts von dem Film gehört, werde ihn mir jetzt aber auf jeden Fall noch ansehen und dann mehr dazu sagen.
So. Vorgestern saß ich mit Jinda im Kino, um mir den Film anzusehen und er beschäftigt mich tatsächlich noch immer. Was du über das Privileg der Meinungsfreiheit sagst, ist absolut richtig und umso erschreckender ist es, dass diese Freiheit in so vielen Ländern beschnitten wird, über den Human Credit Score in China haben wir ja schon geredet und das ist nur eines von vielen Beispielen repressiver Staatsmacht.
Ich möchte aber auch noch ein paar Worte über den Film verlieren, der mich auch sehr stark mitgenommen hat. Im Vorfeld wusste ich nur von dieser Schweigeminute und dachte, dass das eine gut geplante und sehr stark politisch aufgeladene Aktion war. Im Film wurde sie dann aber als spontane Handlung gezeigt, eine Solidaritätsbekundung, ein kleiner Protest gegen die politische Situation in der DDR. Ähnlich wie die Schüler, dachte ich anfangs, dass da doch nicht viel dabei ist. Doch plötzlich wurde diese Schweigeminute von Staatsseite als „Konterrevolution“ bezeichnet, die Maßnahmen wurden von Minute zu Minute drastischer und ich wurde immer unruhiger und niedergeschlagener.
Interessant fand ich auch die beiden Figuren Kurt und Theo. Theo stammt aus einem einfachen Arbeiterhaushalt. Er ist der erste der Familie, der Abitur machen und danach studieren kann. Kurt stammt aus einer gutbürgerlichen Familie, sein Vater ist in der DDR angesehen. Zu beginn des Films sind sie beiden gleichermaßen politisch interessiert, Theo ist dabei noch der frechere und der lautere, der impulsivere, der eher seine Meinung äußert. Kurt ist ruhiger, überlegter. Im Laufe des Films wird Kurts Position gegen das System entschiedener. Er rebelliert damit gegen seinen Vater, sein ideeller Protest wird auch dadurch provoziert. Theo hingegen kann den Weg seines Freundes nicht in dem Maße gehen, weil ihm seine Familie und die Chance auf eine bessere Zukunft wichtiger sind.
Seit der Diskussion im Café der Fragen über das bedingungslose Grundeinkommen fallen mir immer wieder die Zwänge auf, abgesehen von den finanziellen, die unsere Handlungen bestimmen. War es nicht bei der französischen Revolution auch so, dass die Bewegung aus der gesellschaftlichen Mitte kam? Sie hat den Zugang zu Bildung, sie hat den Wohlstand und die Zeit, um über Missstände nachzudenken und sie hat die finanzielle Absicherung und damit die Freiheit, sich gegen das System zu stellen. Die Arbeiterklasse hingegen ist zwar stärker von den Problemen betroffen, aber da sie um die eigene Existenz kämpfen muss, fehlt ihr die Kraft und die Freiheit für den Protest. Diese Gedanken kamen mir zu den Figuren von Kurt und Theo.

Die Gedanken sind frei

Lieber Philipp,

Gestern habe ich gemeinsam mit Hannah Das schweigende Klassenzimmer gesehen. Der Film erzählt die Geschichte einer Abiturklasse in der DDR 1956, die es aufgrund einer Schweigeminute für die Opfer des Ungarnaufstandes mit dem Apparat des DDR-Regimes zu tun bekommen.
Eigentlich hatten wir nicht vor diesen Film anzuschauen, aber ich bin immer noch total von ihm beeindruckt. Die letzten Minuten sind mir Tränen die Wangen runtergelaufen. Und anders als bei Pixar-Filmen, bei denen ich meist aus Rührung weine, hat mich hier eine starke Welle des Mitgefühls überrannt.
"Wir vergessen so oft, was für Privilegien wir haben." Ein Satz, den jeder von uns schon so oft gesagt und gehört hat, der aber doch so richtig ist. Für das Privileg der Freiheit, das sich in so vielen kleinen und großen Aspekten äußert, sollten wir immer dankbar sein. Es ist irgendwie krass, wenn man sich überlegt, dass nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem ich diese Zeilen schreibe, diese Freiheit nicht jedem offen stand. Wie sich das anfühlen kann, das hat der Film mir unglaublich nahe gebracht.
Meine Gedanken sind wahrscheinlich noch etwas wirr, daher:

TLDR:Schau dir Das schweigende Klassenzimmer an. Unbedingt.

Froh dir frei schreiben zu können

Julian

Bio-Unterricht

Lieber Julian,

meine beiden letzten Wochen drehten sich leider immer noch sehr um mein Projekt und auch heute bin ich noch nicht richtig davon weggekommen. Das liegt daran, dass es einfach kein Ende nimmt. Auf die Endpräsentation des Entwurfs folgte der Ausstellungsbau. Auf diesen folgte die Vernissage samt Präsentation vor der Öffentlichkeit. Darauf folgte die Betreuung der Ausstellung. Der zwischenzeitliche Abbau, der Wiederaufbau, die Abgabe eines Erfahrungsberichts, Inhalte für eine Website, die es nun auch noch geben soll... Es ist das sprichwörtliche Fass ohne Boden.

Als ich dann mal einen Tag frei hatte, konnte ich auch nicht abschalten und war ruhelos und nervös. Hannah hat mir erklärt, dass das am Cortisol liegt, das der Körper in Stresssituationen ausschüttet. Das sorgt dafür, dass ich trotz Schlafmangel nicht müde werde und dass ich auch spät abends noch durchziehen kann. Außerdem hält es mein Immunsystem in Schach und verhindert, dass ich krank werde, obwohl ich das eigentlich längst sein müsste.

Dass das alles passiert, ist mir schon aufgefallen, doch ich finde es gut, jetzt die biologische Erklärung dafür zu kennen. Wahrscheinlich wusstest du das schon und ich habe dich heute ein wenig gelangweilt. Doch vergiss nicht, dass Wiederholung der Schlüssel zum dauerhaften Lernerfolg ist!

Was mich dann neulich aber doch für ein paar Stunden entspannt hat, war ein Spaziergang aus der Stadt raus an der Isar entlang. Dort ist man plötzlich fern vom Lärm der Stadt, sieht nur noch das natürliche Flussbett, einen bekiesten Wanderweg und den umgebenden Wald. Erst da wurde mir bewusst, wie selten ich mich dem Trubel der Stadt entziehe und wie gut das tun kann. Diese Route sollten wir auch mal wandern!

Bis bald

Philipp

Ich musste bei deinem Brief mehrmals schmunzeln. Biologische Abläufe zu kennen ist für mich oft eine wertvolle Information, weil es gewisse Dinge irgendwie einen gewisse Struktur gibt. Mir geht das oft so, wenn ich Hunger habe und dadurch leichter gereizt bin. Da hilft das Wissen durchaus.
Mit dem Wandern hast du komplett recht. Warum macht man gewisse Dinge, die einem gut tun bloß viel zu selten?

Puh, das war tatsächlich etwas schwerere Kost, aber dank deiner anschaulichen Beispiele glaube ich, dass ich es doch ganz gut verstanden hab. Das ist echt spannend, vor allem weil es so grundlegende Probleme sind, deren Lösung fast unsere gesamte Kommunikation erst möglich machen. Vielleicht kannst du mir bald noch ein paar andere lebendige Geschichten über Rechnernetze erzählen!

Von zwei Generälen, einer erfindenden Schauspielerin, Paris, Russland und Berlin

Lieber Philipp,


Seit deinem letzten Brief ist gerade mal eine Woche vergangen, die ich beinahe komplett mit dir verbracht habe. Das war ein richtig gute Besuch mit vielen witzigen Momenten und guten Gesprächen.

Unter anderem fand ich es sehr interessant, wie wir uns darüber unterhalten haben, dass wir gerne unseren Wissensstand über gewisse Themen festhalten würden. Da wir nicht dazu gekommen sind, dass ich dir mehr von meinem Lieblingsmodul dieses Semester Rechnernetze erzählt habe, dachte ich ich kombiniere die beiden Sachen in dem Brief diese Woche. Daher folgt nun eine versprochen unvollständige Zusammenfassung von dem, was ich bei meinem Professor gelernt habe mit detaillierteren Ausführungen der Themen, die ich am interessantesten fand.

Rechnernetze ist ein vertiefendes Modul zu Kommunikationsnetze, das ich letzten Winter gehört habe. Beide beschäftigen sich damit wie Information zwischen elektronischen Geräten ausgetauscht werden kann und in wiefern sich dadurch verschiedene Geräte miteinander verbinden lassen. Heutzutage habe ich dabei natürlich vor alllem gelernt, wie der Datenaustausch im Internet funktioniert.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Netze sich in Schichten aufteilen lassen. Dabei kann Kommunikation zwischen Geräten auf derselben Schicht oder auf untereinander liegenden Schichten passieren. Eine gute Geschichte, um sich das vorzustellen ist folgende: Nehmen wir an eine Professorin in Frankreich möchte sich gerne mit einer Professorin in Russland über eine neue Entdeckung austauschen. Dann schreibt sie einen Brief in Französisch und gibt diesen ihrem Übersetzer. Der Übersetzer übersetzt den Brief auf Englisch und gibt ihn weiter an den Sekretär, der ihn schließlich per Post nach Russland verschickt. Dort kommt er beim russischen Sekretariat an und wird weitergeleitet an den dortigen Übersetzer, der den Inhalt ins Russische überträgt. So erhält die russische Professorin schlussendlich die Nachricht ihrer französischen Kollegin. Auch wenn das der tatsächliche Verlauf der Mitteilung ist, so kommt es den beiden Professorinen doch so vor, als würden sie sich miteinander austauschen. Genauso wie wir beide den Eindruck haben, dass wir zwei miteinander über diese Seite kommunizieren, obwohl ich ja eigentlich nur meinen Text an meinen Computer weitergebe. Es gibt also einen Unterschied zwischen der virtuellen Kommunikation auf derselben Stufe (z. B. zwischen dir und mir, den beiden Professorinnen oder vielleicht auch den Übersetzern, die sich über das Layout abstimmen müssen) und der tatsächliche Kommunikation (z. B. zwischen der Professorin und ihrer Übersetzerin oder mir und der Tastatur). Das erste nennt man auch horizontale Kommunikation und das zweite vertikale. Damit beide Kommunikationen funktionieren, braucht man sogenannte Protokolle (horizontal) und Schnittstellen (vertikal), die eine Art Sprache festlegen um Informationen auszutauschen. So bin ich mir beispielsweise einig mit meiner Tastatur darüber, welcher Buchstabe durch welche Taste repräsentiert wird. Mit dir habe ich mich dafür darauf geeinigt die deutsche Sprache zu verwenden. Hier ist das ganze nochmal gut in einem Bild dargestellt.

Nun, da ich dich mit etwas grundsätzlichem Thema noch nicht vergrault habe, will ich dir ein paar Beispiele zeigen, warum ich dieses Fach so interessant finde.

Zunächst möchte ich dir von einer Idee erzählen, die Hedy Lamarr gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil entwickelt hat. Lamarr, die als starke Gegnerin der Nazis zu den Alliierten auf Seiten der Alliierten stand, beschäftigte sich mit der Stuerung für Torpedos. Das Problem bei Funk ist, dass jeder, der sich in Reichweite deines Empfängers befindet nicht nur deine Nachricht abhören kann, sondern diese ganz einfach stören kann. Zum Beispiel einfach durch das Senden von White Noise. Dann kann natürlich ein Torpedo keine Signale mehr empfangen. Lamarr hat sich um dieser Problematik zu begegnen das sogenannte Frequence Hopping Spread Spectrum (FHSS) ausgedacht. Anstatt die gesamte Nachricht auf einer Frequenz zu senden, wird diese in ganz kleine Teile, Pakete, unterteilt. Jedes von diesen wird dann auf einer anderen Frequenz verschickt. Dabei wechseln die Frequenzen nach einem bestimmten Muster. Wenn Sender und Empfänger immer gleich die Frequenz ändern, dann können sie ohne Probleme miteinander kommunizieren. Jemand anders, der das Muster nicht kennt, kann die Übertragung nur noch schwer stören oder indem er alle Frequenzen belegt und damit die eigene Kommunikation ebenfalls komplett ausschaltet. Der Vorteil, dass die Kommunikation nicht so störanfällig ist, wird in der zivilen Kommunikation ebenfalls eingesetzt um Störungen auf gewissen Frquenzen nicht zu zu großen Störungen in der gesamten Kommunikation werden zu lassen.

Das zweite, was ich dir gerne erzählen möchte, ist das "Hidden Terminal"-Problem. Stell dir vor, es gibt drei Sendestationen in Paris, Hamburg und Berlin. Die französische Station und die in Berlin können in Hamburg gehört werden. Allerdings können in Berlin und Paris nur Nachrichten aus Hamburg empfangen werden. Wenn jetzt Paris an Hamburg eine Nachricht sendet und Berlin im gleichen Moment ebenfalls eine Nachricht auf demselben Kanal sendet, dann stören sich die beiden Nachrichten und Hamburg kann nichts empfangen. Allerdings kann weder Berlin, noch Paris feststellen, dass der andere etwas sendet, da sie dessen Nachrichten ja nicht wahrnehmen können. Um das zu verhindern können sogenannte RTS (Request-to-Send) oder CTS (Clear-to-Send)-Nachrichten eingesetzt werden. Wenn also Paris etwas senden möchte, fragt es per RTS in Hamburg an, ob es gerade passt. Wenn Hamburg gerade nichts anderes empfängt, sender er ein CTS zurück. Dabei gibt er an, wie lange die Übertragung von Paris dauern wird. Da Berlin Nachrichten von Hamburg empfangen kann, sieht die Station dort, dass Hamburg offenbar gerade von einer anderen Station etwas empfangen wird und wartet ab, bis die angegebene Zeit verstrichen ist. Zu dieser Art von Problemen gehört auch die Problematik des Exposed Terminals, die genau wie das Hidden Terminal durch das Protokoll MACAW gelöst werden kann.

Nach diesen beiden Beispielen will ich dir abschließend ganz allgemein einige der Probleme, die beim Austausch von Nachrichten auftreten können nahe bringen. Ähnlich wie mein Professor will ich dir vom Zwei-Generäle-Problem erzählen. Es gibt zwei Generäle, die zur gleichen Armee gehören. Zwischen ihren beiden Lagern befindet sich das Lager der Feinde. Gemeinsam haben sie 600 Männer (jeder je 300) und der Feind hat nur 400. Sie müssen also nur gemeinsam angreifen und sie können gewinnen. Allerdings können sie nur mittels eines Boten kommunizieren, den sie durch das feindliche Lager schicken. Dort kann dieser allerdings mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit abgefangen werden und die Nachricht erreicht das andere Lager nicht. Wieder einmal ist Wikipedia zur Stelle und illustriert die Situation hier. Wie können die beiden sich abstimmen? Hier einige Ideen zur Anregung deiner Gedanken. Angenommen General 1 schlägt 12:00 vor. Wenn er keine Antwort erhält, weiß er nicht, ob der Bote abgefangen wurde bevor er das andere Lager erreicht hat oder danach. Soll er also um 12:00 aufkreuzen und ist möglicherweise alleine beim Gegner und unterliegt im Kampf. Mögliche Lösungen findest du hier

Das soll es jetzt erstmal gewesen sein. Mit dem längsten Brief bisher hoffe ich dir ein wenig nahe bringen zu können, warum ich das so interessant finde. Es sind ganz viele kleine Bausteine, die wie Lego miteinander verbunden werden können. Und die meisten Konzepte sind an sich nicht so super kompliziert, aber oft richtig clever. Gemeinsam formen sie dann so etwas Faszinierendes wie das Internet.

Hier noch eine Liste, mit ein paar der Themengebieten, über die ich dieses Semester außerdem etwas gelernt habe:


Ich hoffe du bist noch nicht eingeschlafen.

Offen für Fragen

Julian

The end of the f***ing world

Lieber Julian!

Letzte Woche habe ich diese britische Mini-Serie auf Netflix durchgeschaut. Vordergründig war sie verrückt, witzig und überdreht. Aber dahinter stehen einige tiefschürfende Probleme, die die beiden Hauptfiguren zu verarbeiten haben und die sie letztlich zu den extremen Handlungen treiben, die sie ergreifen. Getragen wird die Serie von der Leistung der beiden Hauptdarsteller und ihrer Chemie und von einem grandiosen Soundtrack. Spar dir den Trailer und guck dir einfach mal die erste Folge an. Ich bin gespannt, ob sie dir auch so gefällt wie mir.

Liebe Grüße [heute mal in korrekter deutscher Rechtschreibung ohne Komma - danke für den Hinweis!]

Philipp

Diese Serie steht schon seit langem auf meiner Watchlist. Dank deiner Worte habe ich mich die Woche dann direkt dazu entschieden die erste Folge zu schauen und sie hat mir sehr gut gefallen. Mehrmals musste ich beim Schauen an deine Beschreibung der Charaktere und ihrer Situation denken und kann dem nichts mehr hinzufügen. Tatsächlich hat die Serie mir so großen Spaß gemacht, dass ich große Lust habe das Graphic Novel zu lesen, auf dem sie basiert.
Vergangene Woche habe ich Timo in Oldenburg besucht und wir sind in zwei Ausstellungen gegangen. Eine über die Geschichte der Comics und die zweite über Graphic Novels. Gerade die zweite war unglaublich gut gemacht. Sie haben auf mehreren Etagen unterschiedliche Graphic Novel vorgestellt. Jeweils mit einem kurzen Abriss über den Autor, den Stil und den Inhalt. Dann gab es teilweise Originalzeichnungen, ausgewählte Seiten aus dem Werk oder Skizzen. Manchmal hatten sie dann von einer Seite den kompletten Arbeitsprozess von erster Skizzenidee, über Blaupause bis zum finalen Werk vor Ort. Das coolste war aber, dass sie immer auch eine mindestens eine Ausgabe des Werks da hatten, die man dann lesen konnte. Am Schluss haben wir nach zwei Stunden einfach weitere vier bis zum Museumsschluss dort verbracht und Graphic Novels gelesen.
Es gab dabei echt so unglaublich interessante Werke. "Der Sommer ihres Lebens" von Barbara Yelzin, in dem es um eine alte Dame im Altersheim geht, die ihr Leben rückblickend betrachtet. Yelzin hat unglaublich tolle Bilder geschaffen, die oft wie eine Kamera den Blick führen. Ebenso begeistert war ich von "Packeis" von Simon Schwartz, das die oder eine der ersten Reisen zum Nordpol aufarbeitet unter dem Gesichtspunkt des maßgeblich beteiligten schwarzen DDDDD beleuchtet. Oder Isabell Reitz, die mit "Haarmann" die wahre Geschichte vom gleichnamigen Serienmörder erzählt, der in Hannover über 20 Menschen das Leben nahm und das Fleisch an seine Mitbürger verkaufte und an den das Lied "Warte, warte nur ein Weilchen" erinnert. Die Geschichte von Haarmann hat Timo und mich dann dazu gebracht auf Wikipedia weitere ähnliche Kriminalfälle der 1920er aus Deutschland zu recherchieren und es ist echt unglaublich, was damals so passiert ist.
Falls du eine Möglichkeit hast eines der Graphic Novels in eurer Bibliothek auszuleihen, kann ich dir das nur ans Herz legen. Außer den beschriebenen las ich noch "Vakuum", "Ich weiß"" und "Drüben".
Abgesehen von gezeichneten Geschichten will ich dir noch die Serie "Santa Clarita Diet" ans Herz legen, deren Beschreibung die Komik der Geschichte und die wunderbaren Charaktere leider nicht umfassen kann. Und wie so oft schon "BoJack Horseman".

Das ist ein interessanter Gedanke, den du da aufbringst! Zunächst möchte ich deine These untermauern, dass die Kirche heute in Deutschland eine weniger wichtige Rolle einnimmt: Nach der Wiedervereinigung waren 76 % der Menschen Teil einer Kirchengemeinschaft, 2016 waren es nur noch 62,5 %. Das ist zwar immer noch deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung, aber von der anderen Seite betrachtet heißt das auch, dass zwei von fünf Menschen konfessionslos sind und dass sie mit knapp 31 Mio. Menschen die Mitgliederzahl der größten Glaubensgemeinschaft, der römisch-katholischen Kirche, um 7,5 Mio. übertreffen (Quelle: Wikipedia).
Aber um blanke Zahlen geht es dir ja eigentlich gar nicht, sondern darum, Rituale zu leben und zu verinnerlichen und darüber Werte für unsere Gesellschaft zu transportieren. Die Menschenwürde hast du schon angesprochen, weitere wären für mich Fairness, Nächstenliebe, Toleranz, Gleichberechtigung, Offenheit, Ehrlichkeit, Verantwortung…
Ich denke, dass ein verpflichtender Ethikunterricht für alle, in dem man dennoch die Weltreligionen behandelt, und die Abschaffung des Religionsunterrichts Jugendlichen die Möglichkeit geben könnte, sich mit ihrer individuellen Haltung zu dem Themenkomplex umfassender auseinanderzusetzen. Das wäre aber nur ein Baustein und wie man das Schulsystem umbauen müsste, dass das auch wirklich Wirkung zeigt, sollten wir wohl auch besser an einer anderen Stelle diskutieren.
Ich weiß auch nicht, ob solche neuen Rituale von oben gesteuert werden sollten. Traditionen haben sich früher aus dem Brauchtum entwickelt und waren tief in der Gesellschaft verankert. Dann hat man sie gesetzlich festgeschrieben. Doch eine Gesellschaft ist eben lebendig und entwickelt sich weiter, die Traditionen wurden allerdings in Stein gemeißelt und so im Laufe der Zeit ausgehöhlt. Neue Dinge sind auch durchaus im Entstehen. Letztes Jahr war ich in München am 9. November bei einer Gedenkfeier mit Lesungen gegen das Vergessen des Holocausts.
Du sagst es in deinem letzten Absatz selbst: Wir sollten im kleinen anfangen, uns neue Rituale zu schaffen und wenn sie sich bewähren, dann werden sie wachsen.
Passend zum Thema habe ich letzte Woche bei Perspective Daily diesen Artikel mit Anregungen zu neuen Traditionen gelesen.

Rituale sind die Traditionen der Zukunft

Lieber Philipp,


Du kennst bestimmt die Entwicklungen, die zurzeit an vielen Demokratien rütteln. Das Vertrauen in die Politik sinkt, Nachrichten werden als falsch abgestempelt, wenn sie nicht ins Weltbild passen und extreme Meinungen sind auf dem Vormarsch. Neben all der sachpolitischen Versäumnisse, die es gibt, glaube ich, dass wir als Gesellschaft einen gerade in den letzten 100 Jahren mit dem Erstarken der Individualgesellschaft und der Schwächung von Kirchen etwas sehr wichtiges versäumt haben: Rituale aufzubauen.
Während früher die Konfirmation den Übergang in die Gesellschaft dargestellt hat und die wöchentliche Predigt gemeinsame Werte verstärkt hat, sind jetzige Rituale oft nur noch an Silvester oder Weihnachten anzutreffen. Am Feiertag der deutschen Einheit haben zwar alle frei, aber weder feiern wir gemeinsam, dass Ost und West vereint sind, noch zelebrieren wir Traditionen, die die Werte unseres Grundgesetzes lebendig werden lassen.
Böhmermann hat neulich mal wieder die Diskussion angestossen, ob es eine bessere Nationalhymne geben könnte. Außerdem hat er vorgeschlagen statt dem Adler drei Emojis (Herz, Faust und Zwinkersmiley) zu benutzen. Gerade zweiteresist natürlich sehr übertrieben, aber die dahinter stehenden Diskussionen finde ich durchaus sehr relevant. Transportieren die wenigen Rituale, die wir haben, überhaupt die wichtigen Werte? Da bin ich mir nicht wirklich sicher und ich glaube wir brauchen mehr davon. Feiertage, die nicht nur aus Traditionsgründen da sind, sondern gelebte Tradition werden. Die aber mehr Bedeutung haben, als nur frei zu haben. Ein Trauertag gegen das Vergessen des Holocausts, an dem die Menschen zu Lesungen, Gedenkstätten oder ehemaligen Arbeitslagern gehen.
Es müssen aber nicht immer nur große Veränderungen sein. Gerade im kleinen können wir Rituale einführen, die etwas verbessern. Warum nicht einmal im Monat einen Tag der Toleranz einführen, an dem man sich offen anhört, was für Probleme Menschen haben, die nicht in derselben Blase stecken. Jedes Mal, wenn du von einem Verbrechen hörst, als erstes laut oder in Gedanken "Im Zweifel für den Schuldigen" sagen. Oder Freunden, die 18 werden, das Grundgesetz schenken.
Natürlich ist es schwer solche Rituale zu entwickeln. Ich glaube aber, dass es sich sehr lohnen könnte und dabei coole Erlebnisse entstehen könnten, die uns einzelne und als Gesellschaft voran bringen können.
In eine ähnliche Richtung geht die Überlegung, ob wir "neue" Märchen benötigen. Aber dazu ein ander Mal mehr.


Die Würde des Menschen ist unantastbar


Julian

P.S.: Neulich wagte ich es diese Seite mit dem unverkennbar bedeutenderen Briefwechsel der Dichter Schiller und Goethe zu vergleichen. Eine kurze Recherche ergab, dass auf dieser Seite eben jener Briefwechsel in Echtzeit verfolgt werden kann und, dass ich rasiert Schiller tatsächlich ähnlich sehe.

Ergänzung vom 16.04.2018

Vielen Dank für deine Anmerkungen und die tollen Ideen im von dir verlinkten Artikel. Ganz genau wie du es bekräftigst müssen Traditionen von unten entstehen.
Dennoch möchte ich gerne die Gelegenheit nutzen und einen Punkt in meinem Brief nochmal herausstellen, der tatsächlich mehrere Aspekte vermischt. Neben den Traditionen, die aus unserem Alltag entstehen und zu denen jeder einzelne viel von uns beitragen kann, glaube ich dennoch, dass es mehr als wert ist eine Diskussion als Gesellschaft darüber zu führen welche großen Rituale, Traditionen und andere Mechanismen wir nutzen wollen, um uns fortzuentwickeln und unsere Werte zu vermitteln. Diese Diskussion sollte auf allen Ebenen stattfinden im kleinen Freundes- und Familienkreis, in Schulen und bei Arbeitgebern, aber eben auch auf der politischen Ebene. Am Besten wäre das keine Diskussion, die nur einmalig stattfindet, sondern eine, die sich ständig weiter entwickelt. Damit wir eben nicht bei den wenigen Dingen stehen bleiben, die die Jahrzehnte überdauert haben.

Es ist Frühling!

Lieber Julian!

ich habe dir ja schon vor ein paar Wochen von meiner Wandertour an der Isar berichtet und jetzt muss ich dir schon wieder von diesem kleinen Flüsschen erzählen.
Letztes Wochenende saß ich fünf Stunden lang nördlich von der Münchner Innenstadt auf einer Kiesbank in der Isar. Um dort hinzukommen, mussten wir ein paar Meter durch Knie tiefes, eiskaltes Wasser waten. Das war so erfrischend, dass ich mich gleich darauf für ein, zwei Minuten komplett ins Wasser geschmissen habe. Das Isarwasser ist klar wie ein Gebirgsbach und vor ein paar Jahren hat man wohl festgestellt, dass es so sauber ist, dass Fische dort fast nichts mehr zu essen finden.
In allen Städten, in denen ich gewohnt hab, gab es große Gewässer und gerade in Hamburg ist das Wasser mit dem Hafen, den Kanälen und der Alster omnipräsent. Und dennoch fühle ich mich hier in München dem Wasser viel näher, weil die Ufer nicht alle begradigt sind, weil die Böschung sanft abfällt und ins Wasser übergeht und weil ich bedenkenlos darin schwimmen kann. In Hamburg ist das Wasser nur gut zum Betrachten und für die Atmosphäre, hier ist es zum Anfassen und Erleben. Die Isar schwingt sich immer mehr zu meinem Lieblingsfluss auf, muss ich sagen.
Vor ein paar Tagen las ich in „Eine Muster-Sprache“ das Kapitel über stehende Gewässer in der Stadt und seine Erkenntnisse decken sich mit meinen Beobachtungen: Wasserflächen dürfen nicht wie ein Schwimmbecken mit scharfen Uferkanten ausgebildet werden, sondern brauchen an mindestens einer Seite einen flachen Zugang mit einer sanften Neigung. Das lädt zum Hineingehen ein.
Was mir am Wochenende dann auch bewusst wurde: Endlich ist Frühling! Konntest du auch schon etwas Sonne genießen?

Liebe Grüße

Philipp

Da hast du komplett Recht. Mir ging das vor einigen Monaten ebenfalls einige Male so, dass ich weder Hamburg noch Berlin stark mit Wasser verbinde, obwohl in beiden Städten doch so viel Wasser vorhanden ist. Im Gegensatz dazu ist in Basel der Rhein für mich so allgegenwärtiger Teil der Stadt. Nicht nur die Begradigung, sondern eben die ganz andere Nutzung durch die Bürger lässt den Rhein für mich so stark zum Zentrum werden, während ich mich in Hamburg nicht sehr oft ans Wasser gesetzt habe. Nur 2016 einmal, als wir bei eurer damaligen Wohnung Pizza essen waren. Aber das ist eben nicht mitten im Stadtzentrum. Ist auf jeden Fall eine interessante Beobachtung von dir.
Ich saß in den ersten warmen Tagen auf dem Balkon, bei Freunden auf dem Dach, im Park zum Grillen und vor meinem Lieblingseisladen. Von daher konnte ich den Frühling sehr genießen. Wobei mir dieses Jahr erneut aufgefallen ist, dass der Übergang zwischen Winter und Frühling eine schärfere Trennlinie ist, als ich das erinnere. Sobald die Sonne raus ist, brennt sie ohne Erbarmen und T-Shirt und kurze Hose gehören zur Standardausrüstung, aber ohne die Sonne ist es noch sehr kalt. Nächste Woche soll es sogar fast 30 Grad haben bei uns. So gruselt es mich dann doch ein wenig, wenn ich mich draußen sonne, insbesondere, wenn ich dann solche Meldungen lese.

Ich habe auf deinen Hinweis gehört und an dieser Stelle das Lesen abgebrochen! Leider habe ich es noch nicht ins Kino geschafft, wann anders also mehr zum Film…! Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass ich die DVD in der Bibliothek leihen werde.

Eine absolute Filmempfehlung

Lieber Philipp,


Vergangene Woche war ich mit Hannah für New Week New Habit jeden Tag einmal im Kino. Im Zuge dieser wahnwitzigen Idee haben wir uns auch "Call Me By Your Name" angesehen. Ich hatte nicht wirklich Lust auf den Film, aber er ist bereits jetzt einer meiner absoluten Favoriten des Jahres und er hat den wahrscheinlich besten Abspann, den ich bisher gesehen habe. Außerdem ist der Film in vier Sprachen (Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch). Wenn du in keinster Weise gespoilert werden willst, dann höre jetzt auf zu lesen, geh am Mittwoch mit Jinda ins Kino und les dann weiter.
Ansonsten würde ich dir jetzt gerne nochmal erläutern warum du ihn sehen solltest. Zum einen ist er wunderschön gemacht. Die Kulissen und die Art wie viele Szenen gedreht sind, haben mich des Öfteren verzückt staunen lassen. Die Geschichte von einer Sommmerliebe zwischen zwei Personen ist so anders als das, was wir sonst gewöhnt sind, dass ich mehrmals fest davon ausging, dass jetzt ja dies oder jenes passieren müsste, was dann gar nicht geschah. Leider will ich dir nicht mehr über den Inhalt verraten, aber ich bin mir sicher, dass du nicht enttäuscht sein wirst.


Ein Pfirsisch kann manchmal ganz seltsam sein


Julian

Sapiens

Lieber Julian,

du hast mir zu Weihnachten ein Jahresabo der Münchner Stadtbibliotheken geschenkt, damit ich mir „Eine Muster-Sprache“ von Christopher Alexander ausleihen kann. Mit diesem Schmöker bin ich noch nicht ganz durch, aber bisher ist es sehr interessant zu lesen. Per Onleihe habe ich mir noch ein anderes Buch auf mein Tablet ausgeliehen und zwar „Sapiens: A Brief History of Humankind“ von Yuval Noah Harari, einem Kunsthistoriker aus Israel.
Bisher habe ich nur die ersten vier Kapitel gelesen, aber dabei schon einige interessante Dinge gelernt, die mir davor nicht so bewusst waren. Zum einen die Tatsache, dass die verschiedenen menschlichen Gattungen nicht fließend ineinander übergegangen sind, sondern dass sie über viele Jahrtausende hinweg gleichzeitig auf verschiedenen Kontinenten existiert haben. So gab es beispielsweise auf einer ozeanischen Inselgruppe eine Gattung von Zwergmenschen, die an die Knappheit der Nahrung perfekt angepasst war. Dort gab es auch Zwergelefanten usw.
Erst die Entwicklung des Homo Sapiens und sein schneller Eroberungszug verdrängte alle anderen Gattungen und ließ den Homo Sapiens als einzige zurück.
Die grundlegende Überlegenheit gegenüber Tieren führt Harari darauf zurück, dass Menschen besser und flexibler in großen Gruppen kommunizieren und jagen können.
Weshalb aber der Homo Sapiens die anderen menschlichen Gattungen wie etwa den Neandertaler zum Aussterben gebracht hat, erklärt er mit einer neuen Ebene der Verständigung und Vorstellungskraft. Funde belegen, dass der Homo Sapiens eine Kultur mit einer Religion und Glaubensritualen entwickelt hat. Wir sind das einzige Tier, dass sich über etwas imaginäres verständigen kann, und im Grunde genommen ist unsere gesamte Gesellschaftliche Ordnung mit Banken, Regierungen und anderen Institutionen ein imaginäres Konstrukt, auf das wir uns geeinigt haben. Diese Kultur führte nun dazu, dass der Homo Sapiens sich auch mit fremden Homo Sapiens schnell verstehen und auf Ziele einigen konnte. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war größer, ermöglichte den Zusammenschluss größerer Gruppen und führte so zur Eroberung der Erde.
Ein weiterer Punkt von Harari ist das Artensterben, dass der Homo Sapiens in der Natur immer wieder auslöst. Seiner Meinung nach haben wir nie im Einklang mit der Natur gelebt und sie stets durch unsere bloße Anwesenheit geformt. In allen Gebieten, in die der Homo Sapiens vorgedrungen ist, kam es in relativ kurzer Zeit zu einem Aussterben einer Vielzahl der größten Säugetierarten. In Amerika gab es früher riesige Faultiere und Australien war von einem Riesenkänguru bewohnt. Der Homo Sapiens kam so schnell, dass die, die bis dato an der Spitze der Nahrungskette standen, keine Zeit hatten, sich auf ihn einzustellen.
Das ist auch ein interessanter Punkt von Harari: Während andere menschliche Gattungen über Hunderttausende von Jahren dieselben Werkzeuge benutzt haben, hat der Homo Sapiens die Geschwindigkeit der natürlichen Evolution mittels seiner kognitiven Fähigkeiten überwunden. Vor dem Homo Sapiens waren die menschlichen Gattungen kein bedeutender Teil der Erde, sie waren nicht die Herrscher und standen nicht an der Spitze der Nahrungskette und das über Millionen von Jahren hinweg. Erst der Homo Sapiens schaffte es in relativ kurzer Zeit und entwickelte sich so schnell weiter, dass die Ökosysteme kein Gleichgewicht herstellen konnten.
Bisher gefällt mir das Buch sehr gut. Harari stellt gerne große Thesen auf, mit denen er sich zwar wissenschaftlich angreifbar macht, weil seine Geschichte natürlich auch nur EINE Geschichte der Menschheit ist, aber gerade das macht es spannend, weil er dadurch zum Nachdenken anregt. Vielleicht hast du ja Lust bekommen in Hannahs Version des Buches hineinzuschauen. Falls nicht, kann ich dir immer noch die zahlreichen Interview-Videos zu verschiedenen Themen des Buches empfehlen, die man auf YouTube finden kann.

Liebe Grüße

Philipp

Tatsächlich bin ich bisher nicht so wirklich angetan von dem Buch gerade wegen der großen Thesen, die irgendwie einen esoterischen Charme versprühen. Aber "do not judge a book by its cover"! Daher ist das Buch jetzt auf meiner Leseliste und sobald ich durch bin, werde ich meine Meinung bestimmt hier oder in unserem Podcast revidieren. Und das mit den Zwergelefanten klingt sehr interessant.

Ich finde das eigentlich schon ein bisschen erschreckend, dass wir beide gar nichts darüber wussten. In der Schule hab ich auch nie etwas über die Inka gelernt und über die Maya sind höchstens ein paar Worte gefallen. Auf jeden Fall sehr interessant! „Quechua“ heißt doch auch die Outdoor-Marke von Decathlon. Jetzt weiß ich endlich, wo dieses Wort herkommt…

Eine ganz kurze Geschichte der Inka

Lieber Philipp,


In einem unserer Podcasts hatten wir eine Schätzfrage zu Machu Pichu und dabei mussten wir beide feststellen, dass wir nicht wirklich viel über die Inkas wissen. Zum Beispiel wussten wir beide (zumindest ich) nicht, dass Machu Pichu eigentlich Machu PicChu geschrieben wird und im 15. Jahrhundert errichtet wurde. Daher habe ich mir überlegt, dass ich eine kurze Recherche vornehmen werde und dir in diesem Brief eine kleine Faktenübersicht über die Inkas geben möchte.
Anders als die Maya, deren Reich bereits 2000 v. Chr. entstand und sich bis zur Ankunft von spanischen Eroberern im 15. Jahrhundert erhalten konnte (s. hier, ist die Inka-Kultur vergleichsweise jung und bestand zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert. Obwohl es eine stark von Landwirtschaft geprägte Kultur gewesen sein soll, gibt es viele Zeugnisse beeindruckender Leistungen. Beispielsweise hatten sie auf ihrem großen Straßennetz durch Staffelläufer die Möglichkeit geschaffen an einem Tag eine Nachricht bis zu 400 km weit zu transportieren. Eisen war unbekannt und die Bauwerke und das Straßennetz sind insbesondere deswegen so beeindrucken, weil diese eben größtenteils mit purer Muskelkraft und ohne die Zuhilfenahme von technischen Mitteln wie dem Flaschenzug erbracht wurden. Um die Bevölkerung des teilweise größten Reiches der Welt zu diesem Zeitpunkt zu versorgen, hatten sie sich ein Bewässerungssystem gebaut, mit dem die Terassen versorgt werden konnten.
Sprache der Inka war eine Variante von Quechua, das heute u.a. im Bolivien Amtssprache ist. Du hast bestimmt schonmal Wörter gehört, die aus dieser übernommen wurden. Alpaka, Quinoa, aber auch Coca sind einige dieser Lehnwörter.
Kulturell solltest du auf jeden Fall das Instrument Okarina kennen. Geld gab es übrigens nicht. Stattdessen bestand Handel auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Leider haben die Inka versucht ihre eigene Bedeutung dadurch zu stärken, dass sie konsequent alles zerstörten, was Kulturen vor ihnen erbaut hatten.
Das Ende der Geschichte der Inka kein schönes. Wie du vermutlich bereits geahnt hast, wurden sie von den Spaniern, die vom damaligen Herrscher unterschätzt wurden, überrumpelt und in der Folge dessen in mehreren Schlachten geschlagen. Der letzte Herrscher Túüac Amaru wurde schließlich von den Spaniern entführt und vor einigen seiner Untertanen enthauptet.
Es gibt noch viele andere interessante Fakten über die Kultur der Inka und ich hatte gerade sehr großen Spaß mir den Wikipedia-Artikel durchzulesen. Zum Beispiel hatten sie oft eine Doppelherrschaft. So viel jetzt aber mal bis hierhin mit der heutigen Geschichtsstunde


Hamuptiykiqa kusikusaq (Quechua für "Wenn du kommst, werde ich mich freuen.")


Julian

Am Ganslberg

Lieber Julian,

es tut mir leid, dass ich eine Woche länger gebraucht habe für diesen Brief an dich. Aber ich möchte dir erzählen, was ich stattdessen gemacht habe.
Letzte Woche war ich mit meinem Projekt auf Exkursion am Ganslberg, das ist in der Nähe von Landshut. Wir haben in Landshut in der Jugendherberge geschlafen. Ein paar Leute, darunter ich, hatten ihre Fahrräder dabei und so konnten wir morgens und abends immer in 20-25 min zum Grundstück und wieder zurück fahren.
Tagsüber verbrachten Lukas und ich die Zeit mit Nachdenken und regen Diskussionen. Am Ganslberg liegt das Anwesen von Fritz König, einem deutschen Bildhauer, der letztes Jahr verstorben ist. Vielleicht kennst du sein Kunstwerk „The Sphere“, das 09/11 zwar beschädigt, aber doch noch in einem Stück überstanden hat. Er hat ein Wohngebäude, Ställe und drei große Hallen hinterlassen. Unsere Aufgabe ist nun, eine Nachnutzung für diesen Ort zu finden. Das Problem ist dabei real und unsere Entwürfe kann man als Ideensammlung für die Zukunft ansehen.
Der Ort strahlt eine gewisse Magie aus. Unten am Hang ist ein kleines Dorf und Landshut ist auch nicht weit, aber man ist wie in einer anderen Welt und gefühlt richtig ab vom Schuss zwischen dem vielen Grün, den Wiesen und Wäldern - und den Pfauen! Fritz König hatte dutzende davon und noch immer laufen ein paar auf dem Anwesen herum, klettern Bäume hinauf, schlagen ihr Rad und machen einen unfassbar nervigen Lärm.
Ich hatte das bislang noch nie in der Art, dass man vier Tage lang vor Ort nur am Konzept des Entwurfes arbeitet, aber ich finde, dass das sehr sinnvoll war. Wir haben mit Leuten geredet, die früher dort gearbeitet haben und ihre Meinung angehört. Zahlreiche Ideen konnten wir durchspielen und durch Herumlaufen gleich räumlich begreifen und uns die Auswirkungen ausmalen. Durch das Erleben des Ortes sind wir auf jeden Fall noch mal auf andere Gedanken gekommen und konnten einen besseren Bezug dazu aufbauen.
Wir stellten fest, dass der Ort zwar malerisch ist, aber das er nicht von Natur aus so war. Eine ältere Dame berichtete uns, wie genau König darauf achtete, dass jeder Baum und jede Hecke am richtigen Platz war und die richtige Länge hatte. Er inszenierte den Ort gewissermaßen, machte ihn zu einer Bühne. Das brachte uns dann auf die Idee, ein Theater an den Ort zu bringen. Das vereint einige Kunstformen miteinander und Landshut ist tatsächlich auf der Suche nach einer mittelgroßen Bühne. Zunächst steigerten wir uns in die Idee eines Sommerfestivals hinein, mit drei Bühnen, Zelten, Pavillons, Essensständen usw… Schnell wurde allerdings klar, dass wir doch nicht genug Platz und vielleicht auch nicht das Publikum dafür haben.
Daraufhin entstand die Idee einer Winterbühne in einer der Werkhallen, die ähnlich wie eine Shakespeare-Bühne funktionieren wird, und einer Sommerbühne auf einer der Wiesen in Hanglage, die man sich als Freilichtbühne vorstellen muss. Dazwischen liegen die beiden anderen Hallen, die als Werkstätten, Lager und Proberäume dienen. Im Wohnhaus soll es ein Restaurant geben und die Ställe werden umgebaut und nehmen die saisonal wechselnden Schauspielerensemble auf.
Die Professoren und Assistenten haben die Idee am letzten Tag abgesegnet, das Konzept steht und jetzt geht es an die Recherche und das Entwerfen!

Bevor ich es vergesse noch ein Wort zu Landshut: Schönes, gemütliches Städtchen mit einer süßen Altstadt. Seit ich in Frankreich so viele Kleinstädte gesehen hab, erlebe ich viel bewusster, wie viel tolle, kleine Orte es in Deutschland eigentlich gibt.

Liebe Grüße

Philipp

Das klingt tatsächlich super. In meinem Kopf habe ich malerische Bilder von weiten Wiesen wie aus einem der frühen Märchenfilme. Finde das auch richtig spannend, dass ihr so viel Zeit dort verbracht habt und die Möglichkeit hattet mit den Leuten zu reden. Bin sehr gespannt, wie sich das so entwickelt.

Ich finde, du hast das Thema schon gut getroffen. Sprache ist eben immer im Wandel durch die Gesellschaft, die sie spricht. Ich war in der Schule ganz überrascht, vom „Propagandaminister“ zu erfahren. Da wurde mir klar, dass das Wort „Propaganda“ vielleicht einmal anders besetzt war.
Wie du schon sagtest, ist es wichtig, vernünftig über Sprache und die angemessene Wortwahl zu diskutieren. Vernichtende Verurteilungen zum „Rassisten“ bringen die Diskussion in der Sache nicht voran, sondern sind lediglich Ausdruck der Gier nach Sensation. In manchen Fällen mag das Urteil berechtigt sein, doch in anderen ist es einfach die Unwissenheit oder Gewohnheit einer älteren Generation, wie Sprache heute angemessen zu benutzen ist.

Ich würde mir wünschen

Lieber Philipp,


Vielleicht hast du mitbekommen, dass es einen Skandal um die Verleihung des diesjährigen Echos gab? Darüber möchte ich dir aber nicht schreiben. Allerdings haben sich im Zuge dieses Skandals mehrere Talkshows damit beschäftigt, was "man eigentlich noch sagen darf" und wann Tabubrüche über die Strenge schlagen. Natürlich kommen in solchen Diskussionen sowohl irgendwelche Satire-Aktionen, das Gendern der Sprache sowie das Umschreiben von Kinderbuchklassikern zur Sprache. Dabei sind mir einige Dinge aufgefallen.
Zum einen sollte doch klar sein, dass in Deutschland durchaus alles gesagt werden kann. Dies aber unterschiedliche Konsequenzen hat. Natürlich mag es für manche Person schwer sein, dass gewisse Worte, die vor einigen Jahren noch ohne Widerstand zum allgemeinen Wortschatz gehörten, nun Empörung verursachen, aber die Gesellschaft entwickelt sich nun mal weiter. Vielleicht haben sich andere bereits damals an den Worten gestoßen, konnten sich aber in der Gesellschaft noch kein Gehör verschaffen.
Ja, es gibt immer wichtigere akute Probleme zu bekämpfen. Aber es sollte doch klar sein, dass Sprache einen starken Einfluss auf unser Leben hat. Gerade im Land der Dichter und Denker. In der einen Diskussion bei Maischberger konnte man dann an einer Stelle gut sehen, wie die gleichen Personen, die an der einen Stelle die Rolle der Sprache nach unten spielen, sich an einem anderen Punkt stark stören.
Gerade wenn Sprache aber so wichtig ist, dann denke ich, dass die Sprache richtig eingesetzt werden sollte, um andere dafür zu sensibilisieren, wie sie gewisse Sachen ausdrücken. Statt "Das ist rassistisch/frauenverachtend/..., was du da sagst." könnten wir es mit "Ich würde mir wünschen, dass du das anders ausdrückst. So wie du es sagst, hört es sich für mich [...] an".
Was denkst du?


verum omnium nostrum


Julian

Vorschläge für Sie

Lieber Julian,

ich hab keine Lust mehr, auf diese öden Konsumvorschläge von ach so intelligenten Algorithmen, die mir basierend auf meinen „Interessen“ Inhalte unterbreiten.

Instagram hat vor einigen Monaten seinen Bilderstrom umgestellt und die Posts nicht mehr chronologisch, sondern nach "Wichtigkeit" und „Ungesehen“ sortiert. Das hat dazu geführt, dass ich Bilder von vor drei Jahren vermischt mit Bildern von letzter Woche angezeigt bekam und ich konnte endlos neu laden, weil Instagram immer wieder neue, bisher ungesehen Bilder entdeckte. Das haben sie zum Glück wieder abgeschwächt, aber die Funktion, Posts einfach chronologisch ansehen zu können, vermisse ich noch immer.
Netflix bot früher die Möglichkeit, Filme „nach Bewertung“ zu sortieren. Heute werden sie mir mit „94 % Übereinstimmung“ oder „78 % Übereinstimmung“ mit meinem ermittelten Geschmack angezeigt. Die Netflix Originale nehmen dabei selbstverständlich immer einen besonders prominenten Platz ein. Auf Netflix zu entscheiden, was ich gucken möchte, macht mir schon länger keinen Spaß mehr.
Spotifys wöchentliche Playlist mit Empfehlungen für mich mag ganz nett sein und lässt sich gut im Hintergrund hören, aber sie ist auch so furchtbar gefällig und eintönig, dass ich dabei nicht viel neues entdecke.
Auf Youtube will ich jetzt erst gar nicht eingehen…

Elise hat mir vor kurzem ein Buch ausgeliehen, weil sie auf lesetagebu.ch, wo man Reviews schreiben und gelesene Bücher markieren kann, gesehen hat, dass ich eben dieses Buch auf meine Wunschliste gesetzt habe. Das hat mich überrascht und sehr gefreut. Ich lese seit einer Weile alle neuen Reviews meiner Freunde, auf der Suche nach interessanten Büchern.
Auf Letterboxd freue ich mich immer über deine Filmbewertungen und finde es auch spannend zu sehen, was du dir so anguckst.

Ich hab es satt, immer mehr vom Gleichen angezeigt zu bekommen. Ich will mehr Abwechslung, Überraschung und Vielfalt. Ich will vielleicht auch mal provoziert und mit Dingen konfrontiert werden, mit denen ich mich normalerweise nicht auseinandersetze.

Könnte man Algorithmen einen Überraschungsfaktor einprogrammieren? Und viel wichtiger: Wie bekommen wir mehr Leute dazu, aktiv auf solchen oder auf anderen Plattformen Dinge zu empfehlen?

Grüße

Philipp

Da bist du auf einem interessanten Gedankenweg. Das Problem "Sachen finden, die beim Nutzer Gefallen finden" scheint gelöst zu sein. Aber tatsächlich Sachen zu finden, die ich sehen/lesen will und mich weiter bringen, das ist ein ganz anderes. Ich glaube aber, dass du das schon richtig erkannt hat, dass das nicht wahrscheinlich nicht im Interesse der Anbieter ist, die dich ja so lange wie möglich auf ihren Seiten halten wollen. Aber ein Algorithmus, der tatsächlich Gatekeeper ist, ist zumindest eine interessante Überlegung. Und am Schluss sind Empfehlungen von Freunden dann ja doch immer noch das Beste.

Das Thema "Neue Traditionen in unserer Gesellschaft" scheint dich doch sehr zu beschäftigen! Es stimmt, dass wir nur wenige kurze Geschichten haben, die die Werte unserer Zeit vermitteln wollen. Zumindest wüsste ich jetzt selbst keine, die es in der Art eines Märchens tut. Es müsste wohl wirklich jemanden geben, der sich vornimmt, so etwas aufzuschreiben und ein umfassendes Märchenbuch unserer Zeit zu erstellen. Bis so ein Werk in den Kulturkanon eingeht, würden aber wohl einige Jahre vergehen. Vielleicht hast du sogar Recht damit, dass diese Märchen in einem der großen Fantasie-Universen unserer Zeit spielen sollten, um gleich zu großer Bekanntheit zu finden. Und genau genommen ist Star Wars schon jetzt ein Märchen.

Ein neues Hänsel und Gretel

Lieber Philipp,


Vor einiger Zeit bin ich mit Elise und Hannah durch das nächtliche Hamburg spaziert. Dabei haben wir uns über Märchen unterhalten. Ich habe ja immer gelernt, dass Märchen und Fabeln oft dazu genutzt wurden gewisse Lehren weiter zu geben. Obwohl viele Weisheiten heute noch gelten, hat sich die Welt doch verändert. Wir haben uns dann gefragt, ob es nicht cool wäre, wenn es neue Märchen gibt.
Dabei meine ich jetzt keineswegs auf cool gemünzte Versionen der klassischen Märchen, in denen Rotkäppchen Skateboard fährt und der Wolf irgendein Drogendealer ist. Sondern Märchen, die den gleichen Zauber versprühen wie jene, die wir als Kinder gehört und gelesen haben. Die aber zum Beispiel den Umgang mit Medien näher bringen, die Toleranz anderen gegenüber und unsere Demokratie beleuchten.
Ich bin mir sicher, dass es keine leichte Aufgabe ist solche Geschichten zu finden ohne, dass diese gewollt wirken. Aber vielleicht müssen wir nur wieder zwei Brüder auf Reisen schicken, die sich in den Dörfern umhören. Weil helfen würde es sicher.
Im Notfall müssen die Geschichten halt alle im Star Wars Universum spielen. Hätte ich nichts dagegen.


Die Macht sei mit dir


Julian

Verlust der städtischen Identität

Lieber Julian,

im Seminar "GroßStadtForm" beschäftigen wir uns mit architektonischen Großformen und ihrer Rolle in der Stadt. Nachdem wir zahlreiche Texte gelesen haben, sind wir nun dabei unsere eigene Haltung zu entwickeln und darüber jeweils zu zweit ein Manifest zu verfassen. Das ganze ist noch in der Anfangsphase, doch ich würde dir gerne schon mal einen Einblick geben und hören, was du darüber denkst.

Einleitung

Seit der Industrialisierung sind die Städte zu immer bedeutenderen Zentren der Wirtschaft herangewachsen. Die Funktionen Arbeit, Freizeit und Wohnen finden sich in immer dichterer Form wieder. Aus den kleinteiligen Häuserstrukturen des Mittelalters entwickelten sich immer größere Wohnblocks. Der Einsatz von Glas, Stahl, Elektrizität und der des Fahrstuhls bedeutete einen gewaltigen Sprung in der Höhe und Tiefe der Gebäude. Plötzlich waren hunderte Meter hohe Bauwerke möglich - eine scheinbar grenzenlose Architektur.
Doch die Globalisierung verbreitete die immer gleichen Glasfassaden und Typologien in den Großstädten auf der ganzen Welt und führten zu einer Vereinheitlichung des Stadtbildes. Oft kann man anhand der baulichen Strukturen nicht mehr unterscheiden, ob man sich gerade in Singapur oder Chicago befindet. Nur die Schriftzüge der Werbetafeln geben Aufschluss darauf – es sei denn man trifft auf einen McDonalds, H&M oder Starbucks.
München hat sich dieser Entwicklung lange entziehen können und hohe Bauwerke in der Innenstadt weitestgehend verhindert. Die Bewahrung der historischen Bausubstanz konnte auch die Eigenheiten und Besonderheiten der Stadt aufrecht erhalten. Doch der Druck der Investoren wächst und die Forderung nach Großbauten wird immer lauter. Diese sollen vordergründig den Wohnungsmarkt befriedigen, doch dienen eigentlich nur als Spekulationsobjekte auf dem Immobilienmarkt oder als Feriendomizil für Superreiche. Gewerbeflächen gehen an die schon zitierten Ketten oder ähnliche. Die Stadt wird auf diese Weise ihrer Identität beraubt, die ärmeren Schichten aus den Zentren verdrängt und es kommt zu einer Wiederholung wohl bekannter Strickmuster.
Führt ungebremstes Wachstum also eher zu einem Verlust der Stadt selbst und ihrer Eigenschaften und Werte? Wenn eine Stadt sich nur noch durch die Größe ihrer Gebäude und ihre wirtschaftliche Stellung definiert, ist sie dann überhaupt noch eine Stadt? Denn wird eine Stadt nicht erst durch ihr soziales Gefüge und das kulturelle Leben zur Stadt? Und wie viel Platz braucht jeder einzelne tatsächlich?

Abriss der weiteren Gedankengänge

Forderungen:
1. Soziale Wohnbauoffensive in zentralen Lagen, um bezahlbaren guten Wohnraum für alle zu schaffen A. Nachverdichtung der Innenhöfe
1.1 Umnutzung von Büroleerstand
1.2 Umnutzung von Parkplatzflächen
2. Identität sichern
2.1 Beschränkung von Franchise-/Kettengewerbe, um die Vielfalt des Angebots zu sichern
2.2 Verlust von Kulturräumen und öffentlichen Flächen vorbeugen
3. Reduzierung des Wohnraums pro Person, um mehr Menschen Teil haben zu lassen am städtischen Leben
3.1 effizientere Grundrisse
3.2 gemeinschaftlich genutzte Flächen
3.3 Begrenzung des Wohnraums pro Person, Besteuerung bei Überschreitungen

Ziel:
Bezahlbarer Wohnraum für alle, um Teil der städtischen Gemeinschaft und des kulturellen Lebens in der Stadt sein zu können.

Was hältst du davon? Ist es zu einseitig? Zu platt? Zu aufgeblasen? usw....
Ich freue mich auf dein Feedback.

Liebe Grüße

Philipp

Das klingt so als hättest du dir mal wieder ein sehr cooles Modul ausgesucht. Es freut mich sehr, dass du diesen frühen Entwurf hier mit mir teilst. Im Folgenden ein paar meiner unfachlichen Gedanken, die beim Lesen entstanden sind.
Mir gefällt die Richtung wie du dir vielleicht schon aus einigen Gesprächen denken kannst sehr gut. Ich mag es, dass du dich auf soziale Probleme und das soziale Gefüge konzentriest und dieses in Verbindung zum Stadtbild setzt. Im Kern steht bei dir immer noch der Mensch. Damit verbunden mag ich ebenfalls, dass in Stichpunkten ein klarer Fokus auf klaren und tatsächlichen Lösungen liegt (Reduzierung Wohnraum pro Kopf) liegt und nicht auf irgendeiner künstlerischen Metaebene, die vielleicht später nicht beim Bürger ankommt. An der ein oder anderen Stelle habe ich mich an Mustersprache erinnert gefühlt.
Du wirfst am Anfang ein paar sehr gute Fragen auf. Gerade die Überlegung, ob das kulturelle Gefüge nicht maßgeblich für eine Stadt ist, finde ich sehr interessant. Da ein Großteil nur als Abriss vorliegt, kann ich nicht genau sagen, wie es nachher im Detail aussehen wird, aber jetzt wirkt es nicht so, als ob diese Frage im späteren Teil tiefer beantwortet wird. Insgesamt hat es gerade beim ersten Lesen den Eindruck auf mich gemacht, als ob ihr euch vor allem auf das effiziente Schaffen von Wohnraum konzentriert. Nachdem ich es einige Male gelesen hatte, fiel mir auf, dass in der Beschränkung von Franchisegewerbe oder gemeinschaftlich genutzter Flächen einige Lösungen der anderen Probleme aus der Einleitung drin stecken. Vielleicht ist es hier auch nicht so leicht schnell klare Punkte zu erstellen und ihr werdet euch die noch erarbeiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass darin einige interessante Ideen stecken.
Deine erste Forderung ist mir sofort aufgefallen. Das ist eine Forderung, die ich im politischen Kontext der letzten Jahre einige Male gehört habe. Und dort wie hier ist mir eines nicht klar. Als Forderung klingt es für mich vernünftig, aber ich frage mich dann doch wie das in der Umsetzung aussieht. Sind es nicht auch solche Projekte, die schließlich im Bau von seelenlosen Wohnkomplexen enden, die eben gerade nicht das schöne städtische Gefühl haben, das du anfangs beschreibst. Unter Nachverdichtung der Innenhöfe stelle ich mir dann vor, dass an bestehende schöne Gebäude angebaut wird, aber zur Straße hin die alte Fassade bestehen bleibt. Aber kann das reichen?
Das waren so die Hauptgedanken, die mir gekommen sind. Gerne können wir die Tage nochmal ausführlicher darüber sprechen. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie das fertige Manifest aussieht und hoffe, dass du mich weiter am Entstehungsprozess teilhaben lässt.


Mohntagsbrief

Lieber Philipp,


In den letzten Wochen war ich jede Woche einmal Klettern und einmal Bouldern. Inzwischen habe ich gefühlt an den ganzen Fingern Hornhaut wie am Fuß und trotzdem bekomme ich jedes Mal Blasen. Die letzten Male ist mir ärgerlicherweise an diesen Stellen immer ein Stück Haut abgerissen, weswegen meine Hände oft cool getaped waren. Von diesem kurzen Bericht meiner Heldentaten nun weiter zum heutigen Hauptprogramm.
Früher zu den glorreichen Zeiten von Kipfarl.de gab es montags eine Zusammenstellung von netten Netzfundstückchen von uns. Wir nannten das Ganze dann Mohntagskipfarl, weil Wortspiele damals cool waren. In meiner Liste mit möglichen Inhalten für Briefe an dich steht das schon seit längerem. Nachdem ich am Wochenende mich teilweise zu lange im Internet rumgetrieben habe, dachte ich, dass der Moment passend wäre in Erinnerung an diese glorreiche Kategorie diesen Brief zu versenden. Hier also die Fundstücke der Woche oder so...

  • Why does a spray bottle work?: Ein wunderbarer Artikel, der eine alltägliches mechanisches Produkt erläutert
  • Richard Feynman on Why Questions: Durch obigen Artikel bin ich hierauf gestoßen. Eine super Beobachtung wie Erklärungen funktionieren.
  • This is what happens when you reply to spam mail: Habe eigentlich ein anderes Video von James Veich geschaut, aber das war vor Jahren das erste. Alles, was er so macht, bringt mich zum Lachen. Sehr empfehlenswert auch die Geschichte mit der Ente.
  • Silence: Eine sehenswerte Kurzdokumentation über das Durchsteigen der härtesten Kletterroute der Welt. Ich finde es immer beeindruckend, dass Kletterer auf diesem Niveau es so wirken lassen, als sei das für uns ebenfalls möglich. Obwohl ich nichtmal an nur einer Stelle hängen könnte.

Vielleicht hast du ja Bock auch ein paar Links zu posten und dann hörst du in zwei Wochen wieder von mir in gewohnter dozierender oder gesellschaftspolitischer Form.


Es gibt kein Zitat mit Mohn


Julian


P.S.: Ganz vergessen hatte ich 507 Movements. Eine wunderbare Seite, die 507 verschiedene mechanische Bewegungen zeigt.



...
Philipps Brief ist leider auf dem Postweg verloren gegangen
...


Irgendwie verrückt, dass das alles noch gar nicht so lange her ist. Das Grundgesetz fühlt sich für mich zumindest nämlich wie aus einer anderen Zeit an. Nicht weil es nicht mehr aktuell wäre, sondern weil es so unumstößlich über allem thront. Das sind auf jeden Fall sehr spannende und beeindruckende Lebensläufe! Und danke, dass du dich dafür entschieden hast, von den Müttern und nicht von den Vätern des Grundgesetzes zu erzählen…

Die Mütter des Grundgesetzes

Lieber Philipp,


Weißt du eigentlich wie viele Personen unser Grundgesetz geschrieben haben? Genau 65 Personen. Und was schätzt du wie viele davon Frauen waren, die sog. "Mütter des Grundgesetzes"? Nur 4. Durch einen Wikipedia-Artikel angeregt, möchte ich dir diese vier Frauen kurz vorstellen.
Die älteste der vier Frauen war Helene Weber (CDU), die auch an der Verfassung für die Weimarer Republik mitgearbeitet hat und seit 1919 außer in der Zeit des Nationalsozialismus Abgeordnete im Parlament gewesen ist. Sie wurde 1881 im heutigen Wuppertal geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Romanistik in Bonn und Grenoble und unterrichtete später in Bochum. Sie arbeitete auch im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt, aus dem sie nach der Machtergreifung der NSDAP entlassen wurde. Politisch war sie zunächst in der Zentrumspartei und arbeite später am Entstehen der CDU mit. Sie war ein Teil der Minderheit, die gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz stimmte. Bis 1961 das erste Mal eine Ministeriumsleitung an eine Frau gegeben wurde, trat sie gegenüber Konrad Adenauer ständig dafür ein. Sie starb 1962 in Bonn. Unter anderem in Gießen ist eine Straße nach ihr benannt.
Die zweite Helene ist Helene Wessel. 1898 im heutigen Dortmund geboren machte sie zunächst eine kaufmännische Ausbildung, bevor sie später einen Lehrgang zur Jugend- und Sozialfürsorgin machte, den sie selbst u. a. mit dem Verkauf ihrer Briefmarkensammlung bezahlte. Mit der Machtergreifung wurde sie als "politisch unzuverlässig" eingestuft und arbeitete dann in einigen katholischen Organisationen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie wieder politisch aktiv, zunächst im Zentrum, deren Vorsitzende sie von 1949 bis 1952 war. Damit ist sie die erste Frau an der Spitze einer deutschen Partei und war außerdem die erste Fraktionsvorsitzende. Später gründete sie dann die Gesamtdeutsche Volkspartei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Danach trat sie der SPD bei und kam für diese nochmal in den Bundestag. Sie engagierte sich gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen und lehnte das Grundgesetzt ab, weil ihr christliche Wertvorstellungen nicht genug berücksichtigt worden und sozialstaatliche Grundrechte nicht genug betont waren. 1969 starb sie in Bonn.
Die dritte im Bunde war Elisabeth Selbert (SPD), die 1896 in Kassel geboren wurde, wo sie fast 1986 auch starb. Gerne wäre sie Lehrerin geworden, aber wegen fehlender finanzieller Mittel war ihr das wie der Besuch des Gymnasiums nicht möglich. Stalldessen arbeitete sie u. a. bei der Reichspost. Politisch engagierte sie sich seit ihrem Beitritt in die SPD 1918 immer stark für die Gleichberechtigung, während sie zwei Kinder großzog und arbeitete. Autodidaktisch bereite sie sich auf das Abitur vor und legte dieses 1925 ab. Dadurch konnte sie an der Universität Marburg und Göttingen Rechts- und Staatswisschenschaften studieren und promovierte später mit dem Thema "Zerrüttung als Ehescheidungsgrund". In der NS-Zeit wurde ihr Mann in gefangen genommen. Sie legte 1934 ihr zweites Staatsexamen ab und stellte den Antrag auf Anwaltschaft, der angenommen wurde, obwohl eigentlich durch eine Gesetzesänderung Frauen keine Zulassung mehr bekommen sollten. Dadurch eröffnete sie ihre eigene Anwaltspraxis und ernährte die Familie allein, da ihr Mann bis 1945 wegen politischer Verfolgung nicht arbeiten konnte. Sie scheiterte knapp daran für das Bundesverfassungsgericht nominiert zu werden, was auch an mangelnder Unterstüzung der SPD lag. Die hessische Landesregierung vergibt alle zwei Jahre einen Preis, der nach ihr benannt wurde.
Gemeinsam mit Elisabeth Selber war es Friederike (Frieda) Nadig (auch SPD), die gegen zunächst großen Widerstand Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzten "Männer und Frauen sind gleichberechtig." durchsetzten. Friederike Nadig wurde 1897 in Herford geboren, lernte zunächst Verkäuferin und wechselte dann aber nach dem Ersten Weltkrieg den Beruf zur Wohlfahrtspflegerin. 1933 wurde ihr ein Berufsverbot auferlegt, da sie eine "bekenntnistreue Sozialistin" sei. Bereits seit 1913 war sie Mitglied in der SPD. Während sie die Gleichberechtigung von Mann und Frau durchsetzen konnte, hatte sie mit ihren Forderungen nach "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" und der Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern keinen Erfolg. Sie starb 1970 in Bad Oeynhausen.
Ich hoffe du konntest aus diesem kleinen Einblick in das Leben vier großer Frauen etwas mitnehmen.


Frauen und Männer sind gleichberechtigt


Julian

Manifesto 2.0

Lieber Julian,

ich hatte dir mal einen Zwischenstand geschickt und inzwischen ist unser Manifest auch fertig. Nach der ersten Feedbackrunde erfuhren wir, dass es unseren Text mit unseren Forderungen so schon mehr oder weniger gibt... Daraufhin haben wir unsere Gedanken immer und immer wieder neu formuliert und mehr und mehr auf des Seminarthema „GROSS STADT FORM“ zugeschnitten. Jetzt ist es deutlich kürzer, auf englisch und weniger ein Essay, sondern tatsächlich ein Manifest. Aber lies doch einfach selbst.

We have to build big forms!

Munich is bursting at the seams. This requires a rethinking of the city and its architecture; a new kind of bigness must be implemented. Churches and other sights shouldn’t be the only buildings characterizing the cityscape – new, big housing forms must join them.

Big forms must be part of the city!

Big forms shouldn't be limited to the periphery of the city; rather large-scale housing projects in the inner-city area have to be built. They have to become part of the city itself and provide living space where it's needed. Architects shouldn’t be afraid of proposing this. The lack of housing requires projects with many housing units, because the ordinary methods are insufficient to solve this urgent issue. Our current housing shortage gives us the opportunity to rethink living in the city and to establish large forms.

Embracing a new way of living!

A short play of ideas: If every Munich resident waives 5 square meters of their living space, 7.5 million square meters of living space would be available - in other words, space for 180,000 people. We can no longer afford to create more and more living space per inhabitant. Instead, we must demand a minimum and maximum parameter of space for everyone. Residential units have to become smaller and more efficient in their floor plans and new, large forms can accomplish this while maintaining the same quality of living for everyone.

Bigness can solve the lack of housing!

Bigness, combined with this new way of living, can solve our lack of housing. Instead of creating housing for only 3,500 people, it is possible to create housing for double that number. Just imagine the city of Munich builds two or three large forms per year: This could cover the entire annual volume of construction needed in the city of Munich. If we assume that Munich would spread several new, large forms throughout the city, an enormous number of new apartments can be provided. We need to allow big forms to grow, given the severity of the housing shortage.

Architects have to become a driving force!

To implement big forms in the city, architects have to convince investors and owners of these big forms benefits. Our present housing crisis presents us an opportunity to rethink living in the city. Just a few big housing complexes could change the whole housing market and the lack of housing could lead to surplus. It is up to us as architects to make a city like Munich livable and affordable for people of all backgrounds and cultures. Architects must become the driving force for a change in housing – they have to stress this to owners and investors to get them to rethink their actions.

Learning from the failures of the past!

Although some big forms failed in the past, this shouldn't discourage us from building big forms. We must learn from the mistakes of the past, namely the lack of social infrastructure in big forms. Big forms have to become a place for social and cultural interaction and exchange. This can even go beyond the limit of the building itself; big forms should become an added value for people living in it as well as for all neighboring people and the city itself. Innovative spaces and concepts are needed to make big forms not only more livable, but also an integral part of our community.

Now, more than ever, we need to build big forms in the city of Munich!

Liebe Grüße

Philipp

Finde das gut. Es ist jetzt deutlich zugespitzter und klarer auf ein Problem fokussiert. Und ich glaube, dass ich noch nie so oft "big forms" hintereinander gelesen habe. Heute habe ich diesen Artikel gelesen. Demnach arbeitet WeWork, die effizientere Nutzung von Arbeitsräumlichkeiten voran getrieben haben wohl daran diese Kenntnisse auf den Wohnbereich zu erweitern. Angenehmes Wohnen auf wenig Platz soll das Motto sein. Hat mich an euer Essay erinnert.
Allerdings habe ich mich gefragt, ob durch Forderungen wie die eure nicht gerade der Flair einer Stadt verloren geht wie ihr es in der anderen Entwurfsfassung angeprangert habt?

Ich bin ja schon ein bisschen neidisch auf die Wassersportfähigkeiten, die ihr euch alle aneignet! Daniel hat jetzt auch einen Segelschein und im Sommer macht er noch den fürs Motorboot… Ich hoffe, dass ich davon dann früher oder später wenigstens profitieren kann.
Das gute Wetter hat sich inzwischen nun ja zu einer ganz schön strapazierenden Hitzewelle gewandelt, den Artikel dazu liefert wie so oft Perspective Daily.
Ich bin auch wirklich gespannt, was du über deine Zeit in der Werkstatt zu erzählen hast!

Postkarte aus dem hohen Norden

Lieber Philipp,


Ich habe den ganzen Tag überlegt, was ich dir diese Woche schreiben könnte. Ob ich dir vom tollen Wetter der letzten Tage erzählen soll oder davon wie gut es mir in der Werkstatt von Hannahs Cousin und Onkel gefällt. Vielleicht könnte ich dir von meinem letzten Wochenende berichten und wie ich am Sonntagmorgen mit einem vor Lachen schmerzenden Bauch und der aufgehenden Sonne im Gesicht von unserem Picknick im Park zurückgekommen bin.
Neben diesem kleinen Ausflug möchte ich dir aber von meinem zweitgrößten Erfolg der vergangenen Woche berichten. Vom ersten hast du zumindest schon teilweise gehört und der drittgrößte hat mit dem erfolgreichen Abschneiden bei meiner ersten mündlichen Prüfung zu tun. Nun aber zu Sonntagvormittag, als ich mich noch ziemlich verschlafen aus dem Bett und an den Wannsee quälte. Denn vor einigen Monaten meldete ich mich zu einem Kurs an, der im letzten Jahr entweder ausgebucht oder ungünstig gelegen war: Kanukenterrollentraining.
Den ersten Tag des zweitägigen Kurses hatte ich leider verpasst und ich ging nicht wirklich davon aus, dass es mir am Sonntag noch gelingen würde eine ganze Rolle durchzuführen. Der Trainer gab mir eine kurze Einweisung. Dann trainierte ich am Steg den entscheidenden Hüftschwung danach mit Schwimmpads. Und insgesamt dauerte es nicht mal eine Stunde, ich hatte gerade erst mit dem Paddel zu üben begonnen, und meine erste Rolle klappte. Nun bin ich sicher noch nicht in der Lage mich beim Wildwasserfahren wieder aufzurichten, aber, um auf einem ruhigen See cool auszusehen, taugt es allemal.


Ahoi, Kamerade, ahoi,


Julian

Die Geschichte der Kunst

Lieber Julian,

als du neulich hier warst, hast du „Die Geschichte der Kunst“ von Ernst H. Gombrich in die Hand genommen und warst erstaunt darüber, dass ich das lese. Tatsächlich lese ich diesen Schmöker schon seit ziemlich langer Zeit mit viel zu vielen Unterbrechungen. Der Titel klingt erstmal trocken, doch das Wort „Geschichte“ ist hier nicht nur im Sinne der Disziplin, sondern im Sinne „eine Geschichte erzählen“ zu verstehen. Denn genau das macht Gombrich. Es ist kein reines Nachschlagewerk, das man an jeder beliebigen Stelle aufschlägt, um Fakten und Merkmale über eine Epoche herauszufinden. Stattdessen ist es ein umfassendes, verwobenes Werk, das die europäische Kunstgeschichte erzählt. Die zahlreichen Abbildungen werden erklärt und von Gombrich zum Leben erweckt. Ich kann durch seine Worte regelrecht spüren, wie sehr er die Kunst liebt und wie sie ihn fasziniert und das geht dann manchmal auch auf einen über! Richtig gut gefällt mir auch, dass er später auf frühere Kunstwerke Verweis nimmt und Vergleiche zieht. Ich blättere dann immer zu der jeweiligen Abbildung zurück und schaue mir an, was er meint. Die Hälfte der Zeit liest man also und die andere Hälfte studiert man die Abbildungen. Weil der Band so groß und schwer ist, lese ich überwiegend nur zu Hause daran und das ist wohl einer der Gründe, warum ich noch nicht durch bin. Denn interessant und spannend finde ich das Buch auf jeden Fall! Und vor allem ist es einfach auch sehr, sehr schön.

Vielleicht findest du es ja bei dir in der Bibliothek und schenkst ihm ein paar Stunden deiner Aufmerksamkeit.

Liebe Grüße

Philipp

Wenn ich  das nächste Mal in der Bibliothek bin, werde ich auf jeden Fall mal danach Ausschau halten. Klingt gut, was du da erzählst. Hannah liest ja in letzter Zeit einige Geschichtsbücher, die Geschichte eben als eine Geschichte erzählen. Das hat mir im Geschichtsunterricht auch zu oft gefehlt. Da ging es zu oft nur um die wichtigen Zusammenhänge, aber Stories wurden da selten nahe gebracht. In einem Artikel habe ich neulich auch gelesen, dass es vielleicht besser sein könnte Geschichte von heute zurück zu erzählen. Um so die Frage "Warum ist das so?" immer weiter zu beantworten. Das fand ich irgendwie eine interessante Idee.


Aussehen wie Lukas der Lokomotivführer

Lieber Philipp,


Mein Werkstattpraktikum läuft super. Gleich am ersten Tag dachte ich, dass ich jedes Jahr vier Wochen in einem handwerklichen Betrieb hospitieren sollte. Zum einen entspannt es mich ungemein abends um fünf fertig zu sein und eigentlich kaum noch Verantwortungen zu haben. Zu dieser Entspannung trägt natürlich das Landleben ungemein zu bei. Gleichzeitig lerne ich aber soviel: Tatsächliche Handgriffe wie Ölwechseln oder Räder abnehmen und Wissen über Getriebe, Lichtmaschinen und alles andere. Aber vieles nehme ich auch eher so beiläufig mit und wahr.
Außerdem hat die Werkstatt einen tollen Charme. Da sie tatsächlich noch alte Lichtmaschinen, die Strom im Auto erzeugen, und ähnliche Gerätschaften reparieren, gibt es alte Testgeräte. Die Drehbank ist beispielsweise über 30 Jahre alt und manche Informationen gibt es nur auf Mikrofilm. Das hat total was. Wenn dann noch, wie diese Woche, ein Jaguar und mehrere Oldtimer zur Reperatur da sind,habe ich fast das Gefühl ich bin im Film. Abends lötet Axel vor seiner Scheune am Tank von einem alten Trekker und im Hintergrund geht der Mond auf. Ein perfektes Bild um das Gefühl zu beschreiben, das die Werkstatt und die Arbeit so vermittelt.
Was mich am meisten überrascht hat ist wie rostig viele Autos von unten doch sind. Ein ganz normaler Audi, geputzt wie neu, und von unten komplett nur Rost.
Auf jeden Fall könnte ich mir gut vorstellen ein ähnliche Zeit in einem anderen Betrieb nochmal zu machen. Vorstellen könnte ich mir das bei:

  • Tischler/Zimmermann
  • Weinbauer/Brennerei
  • Schmied
  • Bestatter
  • Fassbauer
  • Schiffsbauer
  • Schornsteinfeger(natürlich)


Die Hupe geht


Julian



...
Philipps Brief wurde von einem Gnom zum Frühstück verspeist
...



Lieber Philipp,


In den letzten Briefen hatten wir beidees von der Geschichte und wie sie erzählt wird. Seit längerem kommt mir immer wieder der Gedanke, dass mein historisches Wissen mehr aus kleinen Puzzleteilen besteht, ich aber oft nicht genau weiß, welche Personen oder Gegebenheiten zum gleichen Zeitpunkt gelebt oder stattgefunden haben. Oder könntest du sagen, dass die Kulturrevolution von Mao Tsetung zwischen 1966 und 1976 stattgefunden hat. In einem Zeitraum, in dem auch der Vietnamkrieg (1955-1975) getobt hat?
Auf lange Sicht fände ich es cool mal eine Zeitlinie zu erstellen, auf der alle verschiedenen Geschichtsverläufe und Lebenszeiten berühmter Persönlichkeiten nebeneinander zu sehen sind. Die gibt es zwar auch zu kaufen, aber dann könnte ich ja nichts lernen. Als kleinen Anstoß habe ich dir heute mal herausgesucht seit wann es Automotoren, Dampfmaschinen, Fahrräder und Flugzeuge gibt. Als "Auf ein Kipfarl"-Fan kannst du natürlich gerne schätzen.
Dampfmaschine:Ich hätte ja gedacht, dass sie erst später kommt, aber die erste verwendbare Dampfmaschine gab es bereits 1712 und stark verbessert von James Watt ebenfalls bereits 1769. Fahrrad: Ich würde den Beginn des Rads festlegen auf die Erfindung der Draisine, dem Laufrad, das 1817 vom Badner Karl Drais erfunden wurde. Mit Pedal gab es das erste Rad dann bereits 1853.
Auto: Das Auto folgt darauf beinahe mittelbar 1863 mit dem ersten internen Verbrennungsmotor und dann dem berühmten von Benz 1886.
Flugzeug:Hier fällt es mir schon schwerer einen genauen Zeitpunkt festzulegen. Denn vom ersten Freiflug 1808 bis zu Flügen von Lilienthal 1891 könnte hier alles als Beginn stehen.
Tatsächlich hat mich das jetzt doch sehr überrascht, weil zuvor hätte ich das deutlich zielgerichteter eingeordnet. Aber das ist mehr oder weniger so nebeneinander und unabhängig passiert. Oder hast du das alles so gedacht?


Im Lauf der Zeit sind wir nur Sand im Getriebe


Julian



...
Ihr könnt Philipp ja mal einen Besuch auf Mastodon abstatten
...


Ha, das finde ich sehr gut! Mastodon hatte ich schon fast wieder vergessen, aber vielleicht werde ich diese Kurzreviews dort tatsächlich weiterführen. In meinen Notizen bekommen sie auch nicht mehr Publikum…
In Hamburg hatte ich bei Brot und Stulle in der Rindermarkthalle auch sehr gutes Brot, zwar in einer anderen Art [viel weicher], aber doch auch sehr gut! Ich weiß nicht, wie das Brot der Hofpfistereien in Berlin ist, aber in München hole ich meins seit einer Weile immer dort und bin sehr zufrieden damit. Ab einer Stunde vor Ladeschluss gibt es sogar 30% darauf. Naja, aber das hilft dir in Paris jetzt natürlich reichlich wenig… dafür darfst du nun sehr, sehr gute Baguettes genießen!
Ich finde, dass Better Call Saul immer besser wird, weil es sich wirklich auszahlt, dass sie so viel Zeit in die Entwicklung der Charaktere investieren!

Kurzreview der letzten Wochen

Lieber Philipp,

Inspiriert von deinen kurzen Reviews auf Mastodon, dachte ich, dass ich das mal schamlos für diesen Artikel kopiere.

Better Call Saul, Staffel 4: Immer wieder denke ich, dass die nächste Staffel mich enttäuscht und werde dann mehr als überrascht. Mike ist super, Nachos Storyline überzeugt mehr als sonst und Jimmy ist so unberechenbar. Diese Staffel hängt noch mehr als sonst an der schauspielerischen Leistung, die phänomenal ist.

Eine Woche Urlaub in Freiburg: Ich hatte nie wahrgenommen wie stark die Stadt doch im Schwarzwald liegt. Sind mit dem Fahrrad in 20 Minuten zum Schauinsland gefahren und schon ist man raus im Freien. Das Zentrum ist mir leider viel zu voll mit Kaufhäusern und Ablegern von Ketten. Dafür habe ich die morgendlichen Spaziergänge durch die Gassen sehr genossen.

Bauernbrot & Zopf: Wäre ich vorher nie drauf gekommen, aber tatsächlich die Lebensmittel, die ich am meisten vermisse. Gibt es ab einer bestimmten nördlichen Grenze einfach nicht mehr in der Qualität und Art wie bei uns in der südlichen Heimat. Zopf aber am Besten aus der Schweiz.

Verbleibe mit Gruß

Julian

Kalenderdilemma

Lieber Julian,

es tut mir leid, dass ich hier so abwesend war. Jetzt bin ich aber zurück aus dem Urlaub und bis zur nächsten schlimmen Abgabephase aufgetankt.
Schon seit geraumer Zeit nervt mich die Situation mit dem Apple Kalender auf dem Mac und dem iPhone. Im letzten Semester habe ich mir angewöhnt, meine Termine dort wirklich auch einzutragen, um immer den Überblick zu behalten und meine Woche besser zu planen. So richtig Spaß hat mir das aber nicht gemacht, weil ich es doch als sehr mühsam empfinde, Termine dort einzutragen. Wenn ich die analogen Kalender anderer sah, beneidete ich sie darum, dass man damit einen besseren Überblick bekommen kann und dass man neben Terminen viel flexibler auch Todos, Erinnerungen und kurze Notizen eintragen kann. Gleichzeitig störte ich mich aber an der Vorstellung, dann noch ein Notizbuch in einer Tasche mit mir herumtragen zu müssen. Schließlich layoutete sich Jinda ihren eigenen Planer, druckte ihn und ließ ihn binden, was ich so schön fand, dass ich die Idee adaptierte, mir das kleinste Moleskine kaufte, dass ich finden konnte und händisch darin einen Kalender anlegte. Das Teil ist so winzig, dass es zusammen mit einem kurzen Stift in jede Hosentasche passt und es macht mir plötzlich unwahrscheinlich viel mehr Spaß, meine Tage zu planen.
Die wichtigen Todos will ich auch darin eintragen und schon eine Zeit dafür einplanen, damit ich mich nicht wie so häufig schon in immer länger werdenden Listen verliere.
Mal gucken, ob das wirklich alles so gut funktioniert, wie ich mir das vorstelle und ob 6,5 x 10,5 cm ausreichen, um mein Leben zu organisieren.

Um den Brief wie geplant zu schreiben, hat es zumindest schon mal gereicht.

Liebe Grüße

Philipp

Das klingt richtig gut. Tatsächlich habe ich, nachdem ich Videos wie dieses zu Bulletjournals gesehen habe, an etwas ähnliches gedacht und bin sehr gespannt, was du so erzählst und wie sich dein Design so verändert.
Bei meinen Notizbücher habe ich gemerkt, dass es gut für mich ist, dass ich eine Struktur habe, die ich selbst anpassen kann. Denn gerade bei vorgegebenen Kalendern oder Notizbüchern ist oft nicht genug Platz in manchen Bereichen und zu viel in anderen.

Oh, das sind schöne Erinnerungen… Jinda und ich saßen in Utrecht vor ein paar Wochen auch am Kanalufer und haben das ein oder andere Lied ertönen lassen - das hat ziemlich viel Spaß gemacht!
Ich musste unweigerlich noch an „Piano Man“ denken, das ich mit dir und dem Tanz-Abschlussball verbinde, und außerdem an „Wer hat uns verraten? [Sozialdemokraten]“ von Marc-Uwe Kling, mit dem wir in Südfrankreich so ziemlich jedem im Auto auf die Nerven gegangen sind.

Lieder von uns

Lieber Philipp,


diese Woche habe ich viel Musik gehört. Dabei habe ich daran denken müssen, dass wir früher oft gemeinsam Lieder gesungen haben. In Erinnerung an die guten alten Zeiten ™ kommt daher hier meine Top 3 Lieder, die wir gemeinsam gesungen haben:

  1. Damien Rice - Rat within the grain
  2. Robbie Williams - Blasphemy
  3. Kimbabwe - Kimba

Falls du noch andere Lieder hast, die ich vergessen habe, teile sie gerne mit mir.


This would not have happened...


Julian

Aldo van Eyck

Lieber Julian,

ein weiteres Mal möchte ich mit dir eine Seminararbeit teilen. Das Thema wurde mir zugelost und nach anfänglicher Skepsis hatte ich dann doch großes Interesse daran. Die letzten Absätze spiegeln ganz gut wider, worüber wir uns auch schon einige Male unterhalten haben:

"Gemeinschaft und Identifikation sind Themen, die wir auch heute noch nicht gelöst haben. Weder in unserer Gesellschaft, noch in der Architektur. Die Problemstellung ist auf allen Maßstäben präsent: Der Mieter, dessen Hausverwaltung ein Unternehmen mit dem Hauptsitz in einer anderen Stadt ist, das Viertel, das mit Gentrifizierung zu kämpfen hat, die Stadt, die sich unter dem wirtschaftlichen Druck des Tourismus ihre regionale Identität bewahren und nicht zum Stereotyp verkommen will. Die Liste kann beliebig fortgeführt werden.
Nach der Auseinandersetzung mit van Eyck habe ich den Eindruck gewonnen, dass die architektonischen Lösungen seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert und beschrieben werden. Um nur einige zu nennen: Es bedarf an Gebäuden mit Charakter, die sich die Menschen im Rahmen dieses Charakters zu eigen machen können. Zwischenräume, die Kontakt und Interaktion ermöglichen, können die Gemeinschaft stärken. Monofunktionalität und eine die Nutzungsvielfalt einengende Gleichförmigkeit führen zu Eintönigkeit und zur Entfremdung. Die Gesellschaft muss den Menschen Freiräume zur Verfügung stellen, in denen sie sich entfalten können. Das können private Freiräume sein, aber auch öffentliche. Dieses Wissen ist vorhanden. Doch es scheitert an der Umsetzung. Van Eycks Mahnung vor über 50 Jahren ist heute so aktuell wie damals: Der Architekt und die Architektin sind die Vermittler zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft und denen der Gesellschaft. Es geht wieder um die Suche, nach dem richtigen Gleichgewicht. Wirtschaft und Gesellschaft müssen keine Gegensätze sein, denn sie bedingen sich gegenseitig. Die Architekten müssen sich dieser Verantwortung nicht nur bewusst werden, sondern sie müssen auch nach den Prinzipien, die sie erfordert, handeln, um eine lebenswerte Gemeinschaft zu errichten.
Abschließend möchte ich noch einmal zu den Dogon zurückkehren und einen Gedanken van Eycks hervorheben, der ihm nur durch seine Reise so klar und deutlich vor Augen geführt werden konnte. Von Parin und Morgenthaler erfuhr er über das Jenseits der Dogon und was alle gleichermaßen erstaunte, war die Tatsache, dass sich das Leben im Jenseits nicht von dem auf der Erde unterscheidet. Der Alltag auf den Feldern ist derselbe, das Leben im Dorf ist dasselbe und die Gemeinschaft ist dieselbe. Nur die Früchte an den Bäumen sind saftiger und reicher, um den Verstorbenen zu verraten, wo sie sind. Die Dogon sind mit ihrem Leben so ehrlich zufrieden und glücklich, dass sie nicht mehr benötigen. Sie leben im Einklang mit ihrer natürlichen Umgebung, Gier ist ihnen fremd. Wir hingegen beuten die Natur aus und zerstören sie:

„Impervious to the spirit of ecology, society at large behaves with insanity instead of grace, like a half-wit with two left hands. A far cry indeed from the way the Dogon tend the natural morphology of their environment.“ – van Eyck

Genügsamkeit und Menschlichkeit, mehr verlangte van Eyck nicht. Wie schwer kann das sein?"

Wenn du mehr über den Kontext erfahren und den Rest auch noch lesen möchtest, findest du ihn hier.

Liebe Grüße

Philipp

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Online stellen mussten wir sie eigentlich nicht, aber ich hab das jetzt einfach mal gemacht! Das ist echt eine gute Frage… Mein Professor für Geschichte und Theorie der Architektur in Hamburg meinte auch einmal, dass es Unsinn ist, zu behaupten, der Mensch lerne aus der Vergangenheit. Seiner Meinung nach kommt und geht alles immer wieder in Wellen. Um das zu erkennen, muss man sich aber erstmal mit der Geschichte auseinandersetzen. Das beantwortet aber immer noch nicht, das warum. Einen Ansatz lieferte er aber doch auch noch:„Das große Versprechen von heute, ist das Grauen von morgen.“ Wir Menschen sehnen uns glaube ich oft nach klaren Lösungen für die Probleme, die uns beschäftigen. Die Lösung muss dabei eine eindeutige Wirkung gegen das Problem haben und zwar eine möglichst große. Und eine möglichst schnelle. Weil wir nämlich auch dazu neigen, alles immer auf den letzten Drücker aufzuschieben, bis es schon fast zu spät ist, das Problem überhaupt noch zu lösen. Das führt dann oft zu extremen Handlungen, die dann Folgen und Folgefolgen haben, die man nicht so ganz bedacht hat… und dann schwappt man in das andere Extrem zurück, von dem man davor kam. So schlägt das Pendel dann hin und her. Die klugen Köpfe, die sich nicht davon treiben lassen, erkennen auf Dauer das eine oder andere von lang anhaltender Gültigkeit… aber das umzusetzen, wäre doch viel zu kompliziert, anstrengend und zeitaufwendig…

Danke für deine Semesterarbeit. Das passt tatsächlich sehr gut und klingt sehr interessant. Sehr gerne werde ich mir die Tage mal die ganze Arbeit anschauen. Musstet ihr die denn sowieso online teilen?
Was mir beim Lesen sehr ins Auge gesprungen ist, ist deine Bemerkung, dass die Lehren vor 50 Jahren heute vielleicht mehr denn je Bedeutung haben. Woran liegt das, dass wir Weisheit vorheriger Generationen nicht immer so gut umsetzen können?

Zunächst mal finde ich es ja super, dass du dir so viel Zeit für die Museen in Paris nimmst! Richtig gut. Da hätte ich auch Lust drauf. Das Phänomen, dass Leute alles fotografieren, habe ich auch schon oft wahrgenommen. Bei meinem letzten Besuch in der Neuen Pinakothek der Moderne traf ich in einem Raum auf einen jungen Mann, der vor jedem Bild stehen blieb, um ein Foto davon zu machen. Dabei blickte er wirklich nur auf den Bildschirm und nie auf das Bild, das er fotografierte. Er war also dort, hat aber eigentlich keine einzige Malerei gesehen. Die geschossenen Bilder wird er sich selbst zu einem Großteil auch nie wieder ansehen. Das kann ich mir nicht vorstellen. „Guckt mal, ich war hier und habe dieses Gemälde gesehen.“ Das ist so sinnentleert. Davon kann einem echt schlecht werden. Die Leute halten Momente fest, die es gar nicht gab. Sie haben sich das Bild nie angeschaut. Machen aber ein Beweisfoto davon, dass sie es gesehen haben. Wen interessiert das überhaupt? Und wann nimmt die oberflächliche Selbstdarstellung in den sozialen Medien eigentlich ein Ende und weicht wieder echter Begeisterung?

Fotobeobachtungen

Lieber Philipp,


Letzten Sonntag habe ich sieben Stunden im Musée d'Orsay, ein Kunstmuseum in Paris, verbracht. Wir hatten bereits am Telefon darüber gesprochen wie gut es mir dort gefallen hat und wie interessant ich die Ausstellung und das Gebäude fand. Allerdings noch nciht über die anderen Besucher.
Ein Großteil der Besucher hatte nämlich die gesamte Zeit das Smartphone gezückt um Bilder von den Kunstwerken zu machen. Klar, Kunststudenten wollen vielleicht eine Vorlage für daheim und manch einer will sich im Internet über ein gewisses Bild verstärkt informieren oder es seinen Freunden zeigen. Aber so wirkte es nicht. Einen sah ich, der mit Smartphone von Bild zu Bild lief und immer ein Foto machte und dann ging es weiter. Vor bekannten Bildern von van Gogh stand eine Menschentraube, die darauf wartete, dass eine Frau vertieft ins Gespräch über das Bild endlich aus dem Weg gehen würde, damit ein kurzer Schnappschuss gemacht werden kann. Insgesamt hatte es auf mich den Eindruck als würde es ausreichen ein Foto als Beweis zu machen und dann weiter zu gehen. Wenn wir ehrlich sind wird sich wohl keiner die Fotos zuhause anschauen, wenn man sich schon vor Ort nicht die Zeit dafür genommen hat.
Vielleicht gibt es aber auch besondere Gründe für die ganzen Fotos. Vielleicht ist der eine ein Kunstfälscher und ein anderer macht einen Kunstblog. Vielleicht hat sich meine Wahrnehmung auch getäuscht und jeder hat nur ein Foto gemacht, nur habe ich es halt immer mitbekommen.


Hoffentlich hat nur keiner gesehen, dass ich auch ein Foto gemacht habe


Julian

Konsuuuuum

Hallo Julian,

was hörst du zurzeit so? Hast du irgendwelche guten französischen Podcasts entdeckt? Ich habe das damals nämlich nicht gemacht, weil ich in Frankreich nicht so viele Podcasts gehört habe. Derzeit hätte ich aber Lust, wieder mehr Französisch zu hören und vielleicht hast du ja einen Tipp!

Ich habe meine Podcasts ein bisschen aussortiert und höre derzeit eigentlich nur die „Tagesschau“ und „Der Tag“, „Interview der Woche“ und den „Hintergrund“ von Deutschlandfunk. Das ist alles ganz schön politisch, aber das gefällt mir gut. NYNH höre ich selbstverständlich auch noch und wenn ich so weit komme noch „Planet Money“, „Radiolab“ und „Invisibilia“.

Morgens lese ich derzeit fast immer zwei Artikel bei „Perspective Daily“ und gerade bin ich dabei mir anzugewöhnen, neben den 10 Seiten Fiction auch 10 Seiten in einem Sachbuch zu lesen. Zu viel mehr komme ich dann auch nicht, aber das erscheint mir immerhin relativ gehaltvoll und auch unterhaltsam. Zusammen mit den Podcast fühle ich mich jedenfalls ordentlich informiert und auch zum Nachdenken angeregt. Soziale Netze erlaube ich mir nur noch am Wochenende und ehrlich gesagt, haben mich Instagram und Twitter zuletzt doch auch sehr gelangweilt. Der Reiz ist derzeit irgendwie weg.

Serien schaue ich bis auf maximal eine eigentlich nur noch mit J zusammen, derzeit „Babylon Berlin“. Das hast du in Paris wahrscheinlich verpasst. Oder doch nicht? Mir gefällt es jedenfalls sehr, sehr gut…! Zu zweit eine Serie zu gucken, ist zwar unfassbar langsam… aber das ist ja auch irgendwie gut! Und ich kann nicht einfach alleine weiter gucken. Wenn man dann auch noch verabredet, was man alles als nächstes gucken will, verfällt man auch kaum mehr der ungezügelten Seriensucht - zumindest nicht alleine. Netflix überfordert mich inzwischen aber auch einfach mit der riesigen, immer weiter wachsenden Auswahl. Vieles wirkt auf mich dabei erstmal austauschbar und deshalb warte ich gerne auf Empfehlungen.

Womit lässt du dich so berieseln?

Liebe Grüße

Philipp

Ich lese zurzeit definitv zu wenig. Habe kein Buch, das ich verschlingen will und keines, das auf mich wartet. Von daher lasse ich mich zu oft mit Netflix oder Politiktalks berieseln. Da ich in Frankreich meist keine großen Fahrtwege habe, komme ich nicht zu sehr vielen Podcasts. Habe aber von P letzte Woche einen super Tipp bekommen, der Podcast "Alles gesagt" von Zeit online. Da darf der Gast solange reden, bis dieser findet, dass alles gesagt ist. Gibt zum Beispiel mehrere Stunden Gespräch mit Christian Lindner (über Politik und Star Wars) oder Robert Habeck. Tatsächlich sehr zu empfehlen.

Für mich ist es immer wieder überraschend, mit welchen Dingen du dich in deinem Studium beschäftigst. Klingt auf jeden Fall ziemlich spannend! Ich darf auch nicht unterschätzen, welche Wichtigkeit Datensätze in der Stadt- und Verkehrsplanung haben und wie sie vielleicht in Zukunft die Architektur beeinflussen können. Viel kann ich dazu allerdings nicht sagen, weil ich kaum in der Materie drin bin. Ich las nur einmal einen Artikel darüber, dass Barcelona auf diesem Gebiet ein Vorreiter ist. Den hast aber glaube ich sogar du mit mir geteilt…!

Die Überlebenden der Titanic

Lieber Philipp,


Dieses Semester belege ich mehrere Kurse zu Machine Learning und beschäftige mich daher gerade mit diesem Datensatz zu den Passagieren der Titanic. Darin enthalten sind Informationen, wenn vorhanden, zu jedem Passagier wie Name, Alter, Geschlecht, Kabinennummer, Klasse oder Verwandte an Board und, ob derjenige überlebt hat oder nicht. Es ist einer der bekanntesten Datensätze, wenn man mit Machine Learning anfängt. Trotzdem war es ziemlich interessant, als ich mir am Wochenende die Daten angeschaut habe.
Zum Beispiel trifft der Satz "Frauen und Kinder zuerst" durchaus zu. Als ich nämlich die Zahlen von Überlebenden bei Frauen mit denen bei Männern verglichen habe, waren diese fast auf den Kopf gestellt. Ähnliches konnte ich auch bei den Gruppen unter und über 13 Jahren feststellen. Zurzeit bin ich aber dabei weitere Informationen aus dem Datensatz rauszuholen. Beispielsweise entnehme ich dem Namen weiblicher Passagiere, ob sie verheiratet waren. Am Ende ist übrigens das Ziel eine mögliche gute Vorhersage über die Überlebenschanzen von in dem mir vorliegenden Datensatz nicht enthaltene Passiegeren zu machen.
Das hat auf jeden Fall großen Spaß gemacht und mal wieder gezeigt wie interessant Daten doch sind.

Liebe Grüße

Julian

Es ist Frühling!

Lieber Julian!

Dieses Semester belege ich die letzten Seminare meines Studiums. Das ist schon seltsam, dass das jetzt bald zu ende geht. Vor fünf Jahren verzweifelte ich in Hamburg in den ersten Wochen am Modellbau, wurde von der Arbeitsintensität überrollt, zweifelte in den dunkeln Wintermonaten am Architekturstudium an sich, hatte gefühlt 15 Veranstaltungen pro Woche, ließ mich von Kritik verunsichern und zog meine Motivation oftmals doch aus dem Willen, eine möglichst gute Note zu bekommen.

Heute arbeite ich nebenher, habe einen total unregelmäßigen Stundenplan, weil ich vor allem Blockseminare belege und will im Entwurf einfach ein möglichst gutes Projekt machen. Mit Kritik gehe ich ganz anders um, da ich weiß, dass sie eine große Bereicherung ist, die mich in meinem Prozess weiterbringt.

Ich lerne immer noch täglich viele neue Dinge und der Zeitaufwand ist auch nicht geringer geworden. Doch inzwischen sehe ich vieles auch entspannter. Wenn ich eine Hausarbeit nicht rechtzeitig fertig bekomme, frage ich die Dozentin, ob ich die Abgabe verschieben kann. Das hätte ich mich vor fünf Jahren nicht getraut. Außerdem lerne ich heute für mich und nicht für jemand anders oder gute Noten.

Einerseits finde ich es schade, dass ich in einem Jahr nicht mehr tagelang in der Uni sitzen werde. Andererseits freue ich mich auch darauf, an Wochenenden frei zu haben und wieder mehr Sport und Musik zu machen.

Wie hast du dich verändert seit du studierst? Worin machst du deinen dritten Bachelor?

Liebe Grüße

Philipp

Wie habe ich mich verändert seit ich studiere?
Ich bin deutlich strukturierter, starte meist sehr früh mit Aufgaben und versuche Themen oft in Gänze zu verstehen und bin immer wieder sehr begeister von der Welt und den tollen Sachen, die ich lernen darf. Auch wenn mir Noten nicht egal sind, so ist mir mein eigener persönlicher und fachlicher Wachstum doch am Wichtigsten und mein großer Ansporn.
Es wird wohl kein dritter Bachelor werden, wobei ich auf eine Ausbildung unglaublich große Lust hätte. Aber tatsächlich ist die Zeit nach dem Studium eine Sache, die mich gerade viel beschäftigt und über der ich gerne mehr Zeit widmen würde. Es ist seit langem Mal wieder ein großer Schritt ins Ungewisse und ich bin sehr gespannt, ob es tatsächlich zu mehr freier Zeit führt oder am Schluss doch nur noch mehr Verantwortung und Stress bedeutet.


Einfach ist schwer

Lieber Philipp,

Zu meinem Geburtstag bekam ich von H Aquarellfarben. Diese und Ölfarben, die in meiner Malkiste lagen, habe ich mit nach Paris genommen und in den letzten Wochen abends ein wenig den Pinsel geschwungen. Das hat mir großen Spaß gemacht.

Ich war im Kunstunterricht ja immer sehr schlecht und habe mit etwa 15 dann ein wenig Zeichnen angefangen. Damals hatte ich Acrylfarben mit denen ich einige Bilder malte, allerdings nichts besonderes. Während ich immer mal wieder gezeichnet habe seit damals, habe ich mich mit Öl- und Aquarellmalerei nicht weiter beschäftigt.

Dass wollte ich ändern und durch meine Museenbesuche ist das Interesse an Ölmalerei wieder aufgekommen. Wie ich das so mache als Teil der Generation Digital Native habe ich einige Tutorials im Internet angeschaut, wo Künstler mit drei Strichen eine ganze Wildnis auf die Leinwand bringen. Dann mache ich drei Striche und es ist alles nur ein brauner Mix. Denn es kommt so viel zusammen: Das richtige Auwählen und Mischen der Farben, der Winkel und Druck mit dem der Pinsel auf die Leinwand kommt und natürlich die Perspektiven und Proportionen. All das hat der Künstler sich durch jahrelanges Ausprobieren antrainiert und ist in seinem Fleich und Blut übergegangen.

Das bringt mich zu dem Gedanken, den ich diese Woche gerne mit dir teilen würde. Meist sind es die Sachen, die am einfachsten aussehen, die am Schwersten sind. Das zeigt sich in der Robotik, wo der aufrechte Gang immer noch ein sehr schwer zu lösendes Problem darstellt. Beim Spielen von einem Instrument, bei dem es eben nicht nur das Verstehen ist wo ein Finger hinkommt um eine Note zu erzeugen und ist beim Malen nicht anders. Auch beim Programmieren kenne ich das, dass ich jemand anderem zusehe und er mit einigen Zeilen Code ein Problem löst, an dem ich mir wahrscheinlich die Zähne ausgebissen hätte. Umso toller ist es, dass so viele Menschen solche Sachen beherrschen.

Was findest du beeindruckend?

Ausdauer ist der Weg zum Ziel

Julian



...
Philipp sendet Grüße aus dem Urlaub
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Lieber Julian,
Asche über mein Haupt oder wie das heißt! Tut mir leid, dass von mir seit Wochen und Monaten kein Brief kam – ich steckte sehr seht tief in meinem Entwurfsprojekt. Aber das ist jetzt vorbei.
Spontan fällt mir kein Beispiel ein, aber ich kenne das Gefühl. Manchmal muss man aber auch einfach Sachen machen, die sich im Nachhinein als nicht so glorreich herausstellen, um zu merken, was man eigentlich hätte machen können.
Daniel hatte mir glaube ich auch schon einmal von der Serie erzählt… vielleicht riskier ich mal einen genaueren Blick. Ich hab in den letzten Wochen tatsächlich gar nichts auf Netflix und Co. geschaut. Stattdessen habe ich abends immer ein paar Seiten gelesen und an „Will Grayson, Will Grayson“ doch mehr gefallen gefunden als ich im Vorfeld erwartet hatte.
Danke für die schöne Musik, da habe ich auch gleich wieder Lust bekommen in Frankreich zu leben…

Gedankenschau

Lieber Philipp,

Diese Woche bekommst du eine kleine Zusammenstellung von Gedanken, die mir in den letzen Wochen durch den Kopf gegangen sind.

Mal über den Tellerrand schauen

Oft wähle ich zwischen Optionen, die sich mir anbieten. Dabei überlege ich zu selten, welche Optionen ich noch neu schaffen könnte. So habe ich bei der Überlegung zu meinem Auslandssemester die Idee leider nicht in Betracht gezogen einfach für zwei Monate in eine kleine Stadt im Ausland zu ziehen. Nicht zum Studieren nur so zum Leben. Kennst du das auch, dass du Optionen übersiehst, weil sie nicht direkt in deinem Blickfeld liegen?

Avatar ist top

Von Hs Brüdern habe ich gehört, dass "Avatar – Herr der Elemente" eine gute Serie sein soll. Da es sie inzwischen auf Netflix gibt, habe ich der Sendung mal eine Chance gegeben und tatsächlich hat sie auf ganzer Länge überzeugt. Obwohl bereits seit 2008 beendet, wirkt sie in der Thematik, der Rollenverteilung und der Entwicklung der Geschichte super modern.

Musik liegt in der Luft

Die letzten Wochen habe ich wieder mehr Musik gehört, insbesondere französische. Daher hier meine französische Playlist.

Frohen Advent

Julian

Gewohnheitstier

Hallo Julian,

im letzten Jahr hatte ich mir keine sehr konkreten Vorsätze gesteckt, außer dass ich 7500 Seiten lesen möchte und dass ich mir regelmäßig etwas gutes angewöhne oder etwas doofes abgewöhne.

Das mit dem Lesen hat hervorragend funktioniert, was auch am Vorsatz der guten Gewohnheiten gelegen hat. So benutze ich zum Beispiel seit einem Jahr mein Handy nicht mehr auf der Toilette und lese stattdessen. Außerdem versuche ich, jeden Tag zehn Seiten zu lesen.

Andere Gewohnheiten, die ich langfristig etablieren konnte, waren:

- Sich kalt abduschen: Inspiriert vom kurzen Eintauchen in den Bodensee am ersten Januar, ziehe ich es seit einem Jahr durch mich rund 30 Sekunden lang kalt abzuduschen. Die Samurai-Dusche schaffe ich allerdings noch nicht: 30 Sekunden kalt, 30 Sekunden heiß, dann wieder kalt, dann nochmal heiß.

- Morgens mein Bett machen und abends alles abspülen: Letzteres klappt natürlich nicht an jedem Abend, aber solange es nur einmal und nicht zwei Mal hintereinander passiert, ist alles in Ordnung. Trotz des ganzen Stresses der letzten Wochen hatte ich jeden Morgen genug Platz in der Küche, um mein Frühstück zuzubereiten und musste mich zu Hause nie unwohl und unordentlich fühlen. Da gab es schon ganz andere Abgabephasen…

- Keine iPhone-Limits ignorieren: Apples neue Funktion der „Bildschirmzeit“ lässt einen bestimmte Apps nach einer täglichen Nutzungsdauer nicht mehr öffnen. Bei mir passiert das für fast alle Apps bis auf Nachrichten, WhatsApp, Karten, Kamera usw. nach 48min und ich versuche mich da auch strikt dran zu halten. Das hat meine tägliche iPhone-Nutzung auf einen wöchentlichen Schnitt von 60-80min gesenkt, womit ich ziemlich zufrieden bin.

Es gab noch ein paar mehr und weil mir das Konzept dieser langsamen, aber stetigen Verbesserung gut gefällt, werde ich damit auch weiter machen. Grandios gescheitert bin ich bislang nämlich beim Sport und das soll dieses Jahr besser werden. Deshalb habe ich klein, wirklich lächerlich klein, angefangen und am 03. Januar drei Liegestützen gemacht. Seitdem mache ich jeden Tag eine Wiederholung mehr und bisher läuft das ganz gut.

Was willst du dir an- oder abgewöhnen? Wann kommt die nächste Staffel New Week - New Habit?

Liebe Grüße

Philipp

Das ist echt eine richtig gute Idee. Vielleicht wird dies in der einen oder anderen Weise in der neuen Staffel NWNH aufgegriffen, die H und ich zurzeit produzieren. Vielleicht kannst du ja in der nächsten Staffel mal wieder als Gast auftauchen.
Es ist immer ziemlich beeindruckend wie gut du deinen Schnitt nach unten gesenkt hast. Meiner ist ein wenig höher, ich konnte den aber schon mehr als halbieren seit es die Beschränkungen gibt.
Ich will gerne mehr meditieren, gerade auch zum Einschlafen. Als Anreiz dafür haben H und ich uns ein Jahresabo bei Headspace geholt.

Das ging mir in den letzten Tagen genauso! Ich war schon lange nicht mehr so viel draußen und in der Sonne wie letztes Wochenende. Morgens war ich zwei Mal an der Isar Joggen und das war wunderbar: Über den Wiesen lag ein grauweißer Raureif, der Boden war fest gefroren, die Luft zum Atmen kühl, doch der Sport und der Sonnenschein haben doch warm gehalten.

Frühling im Januar

Lieber Philipp,

H hat neulich gesagt, dass sie im Frühjahr immer erstaunt ist, dass es wieder Frühling wird und der Winter weicht. Es ist zwar offensichtlich, aber irgendwie finde ich es eine sehr treffende Beschreibung für das Gefühl, das ich verspühre, wenn die ersten warmen Sonnenstrahlen rauskommen. Klar, wir haben nicht vergessen, dass es wieder warm werden kann. Aber die Freude, die wir dabei empfinden, die haben wir dann doch nicht mehr so wirklich auf dem Schirm gehabt. Wie wunderbar es ist, wenn ich abends noch im Sonnenlicht heimgehen kann und dabei vielleicht sogar mit offener Jacke den Fahrtwind auf dem Fahrrad spüren kann.

Letzte Woche wollte ich eigentlich nochmal richtig Schnee haben, jetzt kann ich den Frühling kaum noch abwarten.

Ostern kann kommen

Julian

Restricted Areas

Lieber Julian,

im Kontrast zu unseren Frühlingsfreuden habe ich ein paar verschneite Fotografien für dich, die mich unwahrscheinlich fasziniert haben. Der Moskauer Fotograf Danila Tkachenko reiste durch Russland und suchte dort verlassene Überreste technologischer Utopien der Sowjetunion: Tunnel, die Kilometerweit Richtung Erdkern gegraben wurden; Satellitenschüsseln, die die Kommunikation mit anderen Planeten ermöglichen sollten, die die Sowjetunion besiedeln wollte… Das ist so verrückt und durch diese düsteren Bilder im Schneenebel wirkt es wie aus einer ganz anderen Welt.

Ich bin schon sehr gespannt, was mir im Mai und Juni in Usbekistan begegnen wird. In Tashkent steht doch noch einiges aus dieser Zeit, auch wenn vieles inzwischen überbaut und umgebaut wurde, um die Spuren dieser Zeit zu verwischen und sie hinter sich zu lassen.

Liebe Grüße

Philipp

Auf deine Zeit in Usbekistan bin ich auch schon ziemlich gespannt. Finde das immer noch ziemlich beeindruckend, dass du da hingehst. Die Bilder hatte ich auch schon gesehen und fand die super toll.

Super Idee!
Schwarz: e5, Lc5

Fernschach

Lieber Philipp,

Fernschach spielt man, indem die Spieler die Züge aufpostalisch oder elektronischem Weg übermitteln. Traditionell per Brief oder Postkarte. Laut Wikipedia führten zwei Soldaten 1804 die erste Partie auf diese Weise und in der Schweizer Schachzeitung wurde dieser Begriff geprägt. Sehr interessant ist auch die unsterbliche Fernschachpartie, deren Endstellung 1985 auf einer schwedischen Briefmarke verewigt wurde.

Ich schreibe dir diese interessanten Fakten nicht nur zu Weiterbildung, sondern aus einem weiteren Grund. Neulich lag ich im Bett und habe irgendwie über unsere Briefe nachgedacht und bin dann auf Fernschach gekommen. Ich würde dich gerne zu einer Partie einladen. Mir gefällt insbesondere die Vorstellung, dass wir beide die gleiche Partie aufgebaut im Raum stehen haben und darüber nachedenken. Damit wir nicht alle Briefe immer mit unserem nächsten Zug vereinnahmen müssen, dachte ich wir nutzen diesen Brief und deine Antwort darauf zum Spielen.

Weiß: e4,Sc3

Julian

100°

Lieber Julian,

neulich habe ich mich gefragt, woher ein Wasserkocher eigentlich weiß, dass das Wasser kocht und dass er ausgehen muss. Mein erster Tipp war, dass es irgendwas mit einem Metall zu tun haben muss, welches sich ausdehnt und dann irgendwie den Kocher ausschaltet. So in etwa funktioniert es tatsächlich, nur dass es nicht ein Metall, sondern ein Bimetall ist. Das sind zwei dünne, lange Metallplättchen von unterschiedlichen Metallen, die an beiden Enden miteinander verbunden sind. Die Metalle dehnen sich unter Hitze unterschiedlich stark aus, was dann dazu führt, dass sich das Bimetall biegt. Beim Wasser aufkochen entsteht gegen Ende mehr und mehr Wasserdampf. Dieser sammelt sich unter dem Deckel des Wasserkochers. Dort in der Nähe befindet sich das Bimetall, welches sich zu biegen beginnt. Kocht das Wasser, ist die Biegung so groß, dass der Ein/Aus-Schalter auf die Aus-Position springt und der Kocher ausgeht. Das ganze funktioniert allerdings nur, wenn der Deckel des Kochers geschlossen ist, weil sonst der Dampf entweicht. Man nennt sowas auch einen Temperaturschalter oder Thermostat. Letzteren Begriff kenne ich immerhin schon von Heizkörpern, auch wenn das Funktionsprinzip dort etwas anders ist.

Vielleicht gibt es wirklich (fast) keine dummen Fragen, denn ich fand das erstaunlich interessant. Gleichzeitig ist es irgendwie auch erschreckend wie wenig ich über viele Dinge, die ich täglich benutze eigentlich weiß.

Liebe Grüße

Philipp



Kritiken

Lieber Philipp,

In der letzten Woche war ich in zwei Kinofilmen, über die ich bereits vor Monaten schlechte Kritiken gelsen habe: "Green Book" und "Bohemian Rhapsody". Neben der Tatsache, dass beide Filme auf wahren Begebenheiten beruhen und über Musiker berichten, waren die beiden Kritiken sich ebenfalls ähnlich.

Beide Kritiken setzen sich nämlich mit problematischen Aspekten der Handlung und der Produktion auseinander. Bei "Green Book" geht es dabei darum, dass der Film von Weißen für Weiße gemacht wurde und durch seine Art eben rassistisch ist, was diese beiden Artikel deutlich besser beschreiben können. Im Gegensatz dazu geht es bei der Kritik an "Bohemian Rhapsody" um die Wertung die Homosexualität im Film erhält

Um mir endlich ein eigenes Bild zu machen, habe ich mir beide Filme also angesehen. Und ich muss sagen, dass sie mir gefallen haben. Keineswegs hätte ich die Kritikpunkte selbst erkannt, dass muss ich mir leider eingestehen. Aber gerade deswegen bin ich froh sie gelesen zu haben, weil sie die Filme für mich eingeordnet haben. Durch die Kritiken habe ich mich während der Vorführung mit dem Film auf eine ganz andere Art und Weise auseinandergesetzt wie ich das sonst getan hatte. So sollten Kritiken viel öfters sein. Dass sie mich voran bringen und einen Film verbessern, der sonst hinter den Erwartungen des Kritikers zurück bleibt.

Was denkst du dazu?

Julian

Gedankensprünge

Hallo Julian,

bisher habe ich nur „Bohemian Rapsody“ gesehen und mich erst im Nachgang mit diesen Kritiken befasst. Zu „Green Book“ bin ich noch nicht gekommen, was auch daran liegt, dass negative Kritiken mich davon abgehalten haben, mir den Film überhaupt anzuschauen.

Grundsätzlich gebe ich dir aber Recht, dass Kritiken ein Filmerlebnis erweitern können, weil sie auf Aspekte hinweisen, die man vom eigenen Standpunkt aus gar nicht betrachtet hätte.

Als ich in Frankreich war, haben wir in Angers mit unserem Kurzfilmprojekt an einem Filmfestival teilgenommen und dort auch einen tollen Film angeschaut: „Loving“. Davor gab es eine Einführung, die das Werk des Regisseurs und die Hintergründe zum Film erklärt hat. Das hat mir auch unheimlich geholfen und bestimmt dazu beigetragen, dass ich den Film dann auf so vielen Ebenen wirklich gut fand.

Was ich an den Kritiken, die du verlinkt hast, sehr gut finde, ist die Tatsache, dass nicht der Versuch gemacht wird, den Film auf einer Skala zu bewerten, sondern dass es einfach um gesellschaftliche Themen geht, die anhand der Filme diskutiert werden. Bei „Green Book“ waren es nämlich diese gut-schlecht Bewertungen, die mich vom Gucken abgehalten haben. Die Kritiken, die du verlinkt hast, sind eher anregend, da hast du Recht.

Wenn ich das so schreibe, merke ich, dass wir ja ständig Filme mit 1 bis 5 Sternen bewerten und ich das für mich aber gut finde. Weil es eher ein persönliches Archiv ist und ich darauf zurückblicken will, was ich geschaut habe und wie ich das so fand. Das soll gar niemanden anregen, um ehrlich zu sein…

Ich finde es allerdings immer gut, wenn ich mit jemandem über das, was ich so konsumiere reden kann. Auch im Nachgang kommen da oft interessante Gespräche zustande, eben weil jeder mit einem anderen Auge Filme schaut oder Bücher liest.

Okay, jetzt habe ich das Gefühl, dass ich mich ein bisschen im Kreis drehe…

Was ganz anderes: (hervorragende Überleitung, ich weiß) Ich hab seit einer Weile aufgehört die Tagesschau zu gucken bzw zu hören und beziehe meine Nachrichten überwiegend nur noch über „Der Tag“ vom Deutschlandfunk und über Die Zeit, die wöchentlich erscheint. Na gut, bei Twitter werden auch immer mal wieder aktuelle Themen gepostet, aber Nachrichtenkanälen bin ich entfolgt, das sind dann nur Einzelpersonen. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl irgendwas zu verpassen, sondern das ich deutlich besser informiert bin. „Der Tag“ behandelt jeden Werktag nur zwei Themen, diese dann aber ausführlicher und Die Zeit kann auch nicht über jede Kleinigkeit berichten. Dadurch fällt ziemlich viel Rauschen weg und wenn mal was interessantes oder schreckliches passiert, erreicht es mich tatsächlich oft über andere Wege: Irgendjemand erzählt davon, in der U-Bahn kommt eine Kurzmitteilung… das klappt ziemlich gut. Und macht Gespräche über die Themen dann auch spannender, weil nicht zwei Leute, die eh schon Bescheid wissen, die 2-3 Fakten aus den Nachrichten miteinander wiederkäuen.

Noch was: Wir hatten doch vor kurzem darüber geredet, dass es toll wäre, wenn es Facebook ohne Werbung und ohne Tracking und mit ganz viel Datenschutz gäbe. Openbook versucht genau das und ist gerade in der Alpha-Phase. Es klingt ziemlich nach Google Plus und wahrscheinlich wird man nie wieder was davon hören, aber vielleicht schaffen sie es ja, eine kleine Community langfristig glücklich zu machen.

Achja übrigens: Spinnen können fliegen.

Liebe Grüße

Philipp



Ferienzeit und Gespräche mit Großeltern

Lieber Philipp,

Mein Nachrichtenkonsum ähnelt deinem sehr und ich schätze gerade das Wegfallen von Rauschen ebenfalls sehr. Allerdings fällt mir in letzter Zeit auf, dass ich dadurch zwar über nationale und europaweite Themen gut informiert bin, aber landesweite oder gar kommunale Informationen leider nicht sehr oft auftauchen. Das war noch ganz anders zu der Zeit, als wir noch in unserer Heimatstadt lebten. Falls du dafür einen guten Tipp hast, wäre ich dir sehr dankbar.

Am Wochenende war ich in der Nähe von Wismar in einem kleinen Ferienhaus auf einem Bauernhof. Gemeinsam mit fünf Freunden und einem Kind hatte ich dort ein sehr entspanntes Wochenende angefüllt mit gutem Essen, Spaziergängen, "Mähs" füttern und beobachten, Trampolin springen und viel Codenames spielen. Das Internet war schlecht, das Wetter besser als gedacht und ich habe es sogar noch geschaft anderthalb Bücher zu lesen. Genau wie bei unserem Ausflug in den Schwarzwald 2018, habe ich da wieder gemerkt wie gut mir ein, zwei Tage voller Entspannung doch tun.

Im März habe ich meine Oma interviewt. Mit meiner Urgroßmutter hatte ich das so vor knapp zehn Jahren ebenfalls gemacht und wollte jetzt auch von meiner Oma gerne ihre Lebensgeschichten und Weisheiten hören. Das Gespräch über zwei Stunden war voll witziger, interessanter und bewegender Geschichten und ich habe sehr viel gelernt und Dinge erfahren, die ich noch nicht wusste oder mir nicht so bewusst waren. Zum Beispiel, dass die Familie meiner Oma nur wenige Tage vor dem Beginn der Berliner Mauer noch in den Westen geflohen ist. Eine tolle Geschichte ist ebenfalls wie meiner Oma eine Maus den einen Zopf hinauf, über das Gesicht und dann am anderen Zopf wieder hinunter gerannt ist. Ein solches Gespräch kann ich jedem nur empfehlen.

In diesem Gespräch habe ich sie gefragt, was sie als die größten Veränderungen sieht, die sie in ihrem Leben wahrgenommen hat. Weder das Internet noch der Computer kamen dabei zur Sprache. Stattdessen war einer der Punkte, den sie erwähnte, dass heute viele öfters im Jahr für kurze Zeit wegfahren, während früher meist ein längerer Urlaub anstand.

Damals und gerade nach dem letzten Wochenende, ist mir deutlich geworden, dass ich das ganz gut finde. Mir ist es lieber immer mal wieder einige Tage richtige Auszeit zu nehmen und Energie zu tanken, als einmal zwei Wochen. Diese kurzen Wochenenden zwischendrin sind Inseln der Erholsamkeit.

Weitere tolle Geschichten von meiner Oma gibt es an anderer Stelle

Julian

Thesis-Frust

Lieber Julian,

viel zu lange ist es her, dass ich dir geantwortet habe, das tut mir leid!

Das mit den lokalen Themen ist mir auch aufgefallen. Eine wirklich gute Lösung dafür habe ich auch noch nicht gefunden. Eine Zeit lang hatte ich den RSS-Feed des SZ-Ressorts über München abonniert. Da ist dann allerdings zu viel Rauschen dabei gewesen… Twitter hatte ich gelöscht und jetzt wieder installiert. Dort folge ich ein, zwei Münchner Accounts und bekomme darüber ein bisschen etwas mit. Aber so richtig ausgegoren ist das noch nicht…

Wenn du von diesen Interviews erzählst, merke ich selbst immer wie wenig ich über das Leben meiner Großeltern usw. weiß… Ich finde das toll, dass du die Idee hattest, diese Gespräche zu führen!

Mein Papa sagt auch immer, dass alles unter zwei Wochen kein richtiger Urlaub ist. Und ich kann schon verstehen, was er meint.

Ich schätze diese kurzen Auszeiten auch sehr, wo man zwei, drei Tage lang aus der Stadt rauskommt und einfach nur entspannt. Vor kurzem war ich einen Tag mit Hannah wandern und allein das hat sehr gut getan. Ich liebe diese Ruhe und Weite. Das fehlt mir in der Stadt schon ab und zu.

Allerdings finde ich einen längeren Urlaub oder eine Reise noch mal deutlich befreiender, weil ich dann wirklich aus dem Alltag ausbreche und nicht nach ein paar Tagen schon wieder zurückkehre. Die Reise nach Usbekistan war natürlich eine ziemlich ausgefallene und besondere Erfahrung in der Hinsicht. Aber auch die Camping-Tour mit Jinda durch Südfrankreich war so eine Zeit. Was ich an längeren Urlauben sehr gerne mag, ist die Langeweile und die Wiederholung, die irgendwann einkehren: Da verbringt man zwei Wochen in der Toskana im selben kleinen Dorf und geht immer wieder durch dieselben Gassen, über dieselben schönen Plätze. Ich mag diese Vertrautheit, die sich dann plötzlich in der Fremde einstellt. Ich bin auch gerne ein, zwei Tage länger auf einem Städtetrip, sodass man anfängt, Dinge mehrmals zu machen.

Naja, Fazit: Ich finde beides gut, weil es für mich ganz unterschiedliche Erfahrungen sind. Ich bin also nicht für ein entweder-oder, sondern für die Kombination aus beidem.

Ein Grund für meine späte Antwort ist natürlich auch meine Master-Arbeit. Diese geht sehr schleppend voran und ich bin inzwischen zum Schluss gekommen, dass mir die Einzelarbeit nicht so gut gefällt. Das ist natürlich Typ-Sache, aber mir fehlt im Entwurf einfach die Gesprächspartnerin, die auf meine Ideen reagiert und ihre Perspektive einbringt. Sechs Monate sind außerdem zu viel Zeit für einen Entwurf, vier wären besser, weil man dann zielgerichteter arbeitet. Und dann ist da noch das Ding mit den eigenen Themen. Wir bekommen ja ein Thema gestellt, das alle wählen können, und wer das nicht möchte, kann sich mit einem eigenen Thema an einem Lehrstuhl bewerben. 40% der Masterarbeiten werden über das gestellte Thema abgedeckt, 60% über eigene Themen. So ein eigenes Thema kann schon gut sein, spannende Perspektiven eröffnen, ein persönliches Anliegen transportieren… häufig sind die Themen allerdings auch weit hergeholt, wenig schlüssig und aus der Not heraus geboren, weil einen das allgemeine Thema nicht interessiert hat. Ich wäre daher dafür, dass nicht nur ein, sondern drei Themen angeboten werden, sodass für die Mehrheit etwas dabei ist. Wer dann immer noch ein eigenes Thema bearbeiten will, macht das auf Grund eines sehr guten Einfalls und mit einer sehr großen eigenen Motivation. Tja, solche Gedanken kommen einem, wenn man gerade in einer Thesis-Krise steckt.

Liebe Grüße

Philipp



Mohntagskipfarl für 2019

Lieber Philipp,

Inzwischen ist viel Zeit verstrichen und deine Masterthesis ist erfolgreich abgegeben.

Da es Januar ist, ist es ein guter Moment das letzte Jahr Revue passieren zu lassen. Ein super Moment also, um schöne alte Formate aus der Staubkiste zu holen. Lass uns also direkt anfangen.

Buch des Jahres
Ich schwankte zunächst zwischen Americanah und Die Geschichte der Kunst, aber letztlich ist es doch ersteres geworden. Kein Buch hat meinen Blickwinkel in diesem Jahr so stark geweitet. Americanah zog darüber hinaus noch viele weitere tolle Bücher hinterher. Eine absolute Leseempfehlung meinerseits.

Film des Jahres
Damit tue ich mich sehr schwer, aber die Wahl fällt auf On the Basis of Sex (dt. Die Berufung), den du unbedingt zusammen mit RGB sehen solltest. Zwei wunderbare Filme (Spielfilm und Dokumentation) über Ruth Bader Ginsburg und ihren Weg als Anwältin bis in den Supreme Court der USA.

Lied des Jahres
Auch wenn Spotify da anderer Meinung ist, mein Lied des Jahres ist von Fabian Römer: Was du nicht sagst.

Wie fällt denn dein Mohntagskipfarl für 2019 aus?

I am back

Julian

Lieber Julian,

ich bin leider auch etwas aus dem Schreibrhythmus gekommen, aber da grooven wir uns schon wieder rein.

Buch des Jahres
Es freut mich, dass dir „Die Geschichte der Kunst“ so gut gefallen hat. „Americanah“ habe ich vor ein paar Jahren von einer Freundin ausgeliehen bekommen und es wird wirklich Zeit, dass ich es lese! Meine Buch des Jahres 2019 war „Sapiens“. Ich weiß, dass du diesem sehr kritisch gegenüberstehst und ich habe es auch mit Vorsicht genossen, aber Harari stellt viele interessante Zusammenhänge her und auch einige steile Thesen auf, die mich zum Nachdenken gebracht haben.

Film des Jahres
Von beiden Filmen hatte ich davor noch nicht gehört, aber sie stehen jetzt definitiv auf meiner Filmliste! Mein Film des Jahres war „Playtime“ von Jacques Tati aus dem Jahr 1967. Tati spielt selbst die Hauptrolle Monsieur Hulot, ein älterer Herr vom Land, der sich in einem modernen Paris voller Wolkenkratzer und spiegelglatten Glasfassaden verliert. Die Handlung ist nicht sonderlich komplex, die Gesellschaftssatire dafür aber umso schärfer, wenn man genau hinschaut. Ich habe mich sehr amüsiert und war auch erstaunt, wie gut der Film trotz seiner Alters ins 21. Jahrhundert passt. Fasst ebenso sehenswert ist „Mon Oncle“.

Album des Jahres
Dieses Album von Fabian Römer ist 2019 leider komplett an mir vorbeigegangen, aber seit dem Neujahrskonzert in Ü läuft es bei mir immer mal wieder und ich habe es schon sehr lieb gewonnen. Ein Lied des Jahres kann ich nur schwerlich ausmachen, bei mir war es eher das Debütalbum „Welcome to the jungle“ von Rilès, das mich mitreißen und in schweren Thesisphasen antreiben konnte.

Liebe Grüße

Philipp


Ich bin immer noch sehr gerührt und ein bisschen sprachlos – das waren sehr schöne Worte! Mich erfüllt es mit Glück und irgendwie auch Stolz, zu sehen, welchen Weg ihr beide schon zusammen gegangen seid und wie weit ihr noch zusammen gehen wollt. Seit ich von Berlin weggezogen bin, hat unsere Freundschaft viele Widrigkeiten durchstanden und trotz dass die Umstände es sehr unwahrscheinlich gemacht haben, besteht sie noch weiter und wächst und wächst... Dass ihr mich nun an eurer Seite haben wollt, find ich unglaublich schön, toll und – ach, wie gesagt mir gehen die Worte aus, weil ich so überwältig davon bin wie wunderbar das alles ist!

Statt eines längeren Briefes bekommt ihr also die schnellste Antwort in der Geschichte dieser Seite:
Ja, ich will!

P.S.: Ihr seid toll.

P.P.S.: Alles ist gut, solange du wild bist.

Ein besonderer Freund

Lieber Philipp,

vor über zwölf Jahren musste ich Activity spielen. Dieses Spiel ist nicht unbedingt mein Favorit. Man spielt es in Zweiergruppen und in der Runde, in der ich mich damals befand, gab es einige bestehenden Beste-Freundinnen-Pärchen. Die Teams waren größtenteils klar verteilt. Nur ich und ein Junge aus der Stufe unter mir waren noch übrig. Ich kannte ihn nicht wirklich und er mochte mich - zum Teil zu Recht - nicht wirklich. Für das Spiel wurden wir zu einem Team. Keine Ahnung, wie wir schlussendlich abgeschnitten haben. Ich würde mir wünschen, dass wir gewonnen haben, glaube aber kaum, dass wir eine große Chance hatten. Ich weiß aber noch, dass wir bis tief in die Nacht über dies und das quatschten und ich ihn einige Wochen darauf zum Kochen zu mir einlud und er das erste Mal Spinat aß.
Im Herbst lud er mich gegen den Willen seiner Eltern zu seinem Geburtstag ein und ich schenkte ihm 16 Geschenke, die mit "How to be 16" überschrieben waren. In den Jahren danach feierten wir einige Geburtstage zusammen, sangen bei diversen Chorprojekten mit und gingen zusammen in den Urlaub, bis wir für ein Jahr in einer WG in Berlin sogar zusammen wohnten. Seitdem haben wir zwar nicht mehr in einer Stadt gewohnt, haben dennoch fast jede Woche Kontakt, ein paar unerfolgreiche Internetprojekte gestartet und schreiben uns unregelemäßig Briefe im Internetz.
Sollten wir nochmal Activity spielen wären wir inzwischen ein klares Team und das Gericht, das wir bei unserem ersten Treffen kochten, ist bei all unseren Freunden nur als "unser Auflauf" bekannt. Einer Woche, in der wir nicht telefonieren, fehlt etwas.
Als ich mit H zusammenkam, warst du der Erste, dem ich davon erzählte und neun Jahre später ebenfalls der Erste, der von uns erfuhr, dass wir nächstes Jahr heiraten werden.
Es gibt Freunde, mit denen kann man Pferde stehlen, Freunde, mit denen man rumblödeln und man selbst sein kann, und Freunde, denen man alles erzählen kann.

Und du, Philipp, du bist alles. Es gibt keine passendere Person, die ich gerne an meiner Seite hätte, und darum will ich dich fragen: Willst du unser Trauzeuge sein?

Hab dich sehr lieb

Julian

P.S.: Hi Fabi, Auch ich habe das große Glück, dass du schon so lange in meinem Leben bist - 17 Jahre, kannst du das glauben? Wir sind zusammen groß geworden und haben so so viel zusammen erlebt. Ich bin froh, dass du immer noch mein Freund bist und würde niemanden lieber als dich als unseren Trauzeugen haben. Ich freue mich auf alles, was wir noch gemeinsam erleben werden - in den nächsten 17 Jahren und danach. Liebe zu dir, deine Peng.

45 Stunden

Lieber Julian,

es ist in letzter Zeit noch ruhiger als sonst um unsere Internetprojekte geworden - aber ich weiß ja, dass wir sie beide nicht vergessen haben. Und untätig sind wir dennoch beide nicht.

Seit Ende März arbeite ich jede Woche 40 Stunden in einem Architekturbüro, festangestellt, frei nur am Wochenende, an Feiertagen und wenn ich mir einen meiner kostbaren Urlaubstage nehme. Das ist schon verrückt, wie diese Beschränkungen den Blick auf die Zeit, die ich zur Verfügung habe, verändert… Ich beobachte bei meinen Freunden hier ähnliches. 9 to 5 ist ja leider auch was anderes, da ich auch noch eine Mittagspause benötige. Also eher 9 to 6. Das sollte sich mal im Sprachgebrauch etablieren. Zum Glück ist mein Arbeitsweg mit drei Minuten hin und drei Minuten zurück wirklich zu vernachlässigen, für gewöhnlich kann man da ja gleich noch eine halbe Stunde bis Stunde pro Tag draufschlagen.

Eine Woche hat 168 Stunden. Circa 56 Stunden verbringe ich lesend und schlafend im Bett. 45 im Büro. Bleiben noch… lass mal an zwei Händen abzählen… 67 Finger übrig. Das ist gar nicht mal so viel, auch wenn ich jetzt doch einige Hände benötigt habe. Genug der Rechenspielchen, was ich damit sagen will: Ich merke, wie kostbar die Zeit ist.
Man kann immer noch mehr Geld haben, aber Zeit haben wir alle gleich viel. Jeden Tag aufs Neue.

Das Schöne ist ja: Ich gehe gerne zur Arbeit, weil ich sie als sinnvoll empfinde. Ich sitze in der Wettbewerbsabteilung, versteh mich super mit A., die schon jahrelange Erfahrung hat und von der ich immer wieder etwas neues lerne. Hinzu kommen die Besprechungen mit den Chefs, die so schnell und präzise Stärken und Schwächen erfassen… Wir entwerfen Schulen, Kindergärten, Sporthallen, Studentenwohnheime, sozialgeförderte Wohnbauten… alles für Stadt, Kommune oder die Kirchen. Natürlich würde ich auch mal lieber zu Hause bleiben, aber wenn ich mich dann daran erinnere, dass ich irgendwie auch dazu beitrage, dass es mehr KiTa-Plätze, bessere Schulen und schönere Studentenwohnheime in Deutschland gibt, dann motiviert mich das doch wieder aufs Neue.

Dass ich es nicht schaffe, acht Stunden am Tag mein A-Game an den Tisch zu bringen, haben wir neulich schon am Telefon besprochen… eine Umstellung auf 35 Stunden wäre bestimmt mal ein interessantes Experiment. Abends bin ich oft sehr erschöpft und bekomme nicht mehr so viel auf die Reihe. An den Wochenenden hab ich mich anfangs dann einfach nur ausgeruht, weil ich keinen Kopf hatte, da auch noch was zu unternehmen… Das hat sich inzwischen schon etwas geändert. Der Sommer und das gute Wetter helfen da mit Sicherheit auch.

Bis vor kurzem gab es ein paar Dinge, die mir ein schlechtes Gewissen gemacht haben, was meine Freizeitgestaltung angeht: Das waren meine zahlreichen, sich automatisch wiederholenden Haushalts-To do’s, Erinnerungen an Projekte wie Briefe, Fotos sortieren, 10-Jahresbuch nachtragen…, meine Habit-App, die auch noch was von mir wollte, Leseziele bezogen auf Seitenzahl und Artikel pro Woche, die gelesen werden sollten… Das war alles mal gut gedacht und hat mir in mancher Hinsicht auch einen guten Anstoß gegeben. Zuletzt hat es mich aber runtergezogen, weil ich es selten bis nie alles hinbekommen habe. Naja. Nun ist das fast alles passé. Leseziele sind abgeschafft, ich lese einfach so viel wie ich Lust habe. Die Habit-App ist gelöscht, dafür schreibe ich abends wieder regelmäßig in mein Tagebuch und reflektiere dort darüber, was gut läuft und welche Verhaltensweisen ich mir abgewöhnen will. Statt zig verschiedener To-Do’s gibt es nur noch drei am Wochenende: Haushalt, Ablage und Projekte. Die haben zwar ein paar Unterpunkte, diese sind aber nicht verbindlich. Ich mach, was ich mach, und dann wird abgehakt. Manchmal muss man seine Ziele eben doch anpassen, um sie zu erreichen.

Das Interessante ist: Ich hab in den letzten zwei, drei Wochen mehr Zeit in meinen Haushalt und persönliche Projekte gesteckt und dennoch weniger Stress damit gehabt und gefühlt mehr entspannte Freizeit. In „Gewaltfreie Kommunikation“ habe ich dazu vor ein paar Tagen einen passenden Abschnitt gelesen. Der Autor Marshall B. Rosenberg hat vorgeschlagen, dass man eine Liste mit den Dingen, von denen man denkt, dass man sie machen muss, erstellen soll. Dann schreibt man jeden Stichpunkt um, in etwa so: „Ich möchte … machen, weil ich … will.“ Aus Müssen wird Wollen und dazu gibt es noch einen Grund, eine Motivation dahinter, ein Bedürfnis, das durch die Tätigkeit erfüllt wird. Tja und wenn einem zu etwas kein sinnvoller Grund einfällt, dann lässt man es in Zukunft vielleicht einfach bleiben.

Weiterhin Briefe an dich zu schreiben und Briefe von dir zu lesen, macht mir jedenfalls eine große Freude!

Alles Liebe

Philipp